Startseite
Jetzt spenden

Kein anderer Mann sollte sie heiraten dürfen

Ines schreibt einen Artikel für die Zeitung.

Als Romina eines Nachts im Juli 2004 auf die Toilette musste, wollte sie niemanden aufwecken. So verließ sie das Haus ihrer Eltern im Süden Bangladeschs allein. Diesen Fehler wird sie sich niemals verzeihen. Auf dem Rückweg überfielen sie drei Männer, drückten sie brutal auf den Boden und versuchten, sie zu vergewaltigen. Einer von ihnen war Amin, sie kannte ihn, er war ihr Nachhilfelehrer gewesen. Monatelang hatte er ihr nachgestellt, ihr Briefe geschrieben, nachts vor ihrem Haus gestanden und sogar bei ihrem Vater vorgesprochen. Aber Amin ist Hindu und eine Heirat war ausgeschlossen, weil Romina Muslimin ist. Amin überschüttete Romina in dieser Nacht mit Säure, damit sie niemals ein anderer Mann heiraten wird.

Rominas Schicksal teilen etwa 2000 andere Frauen, Männer und Kinder in Bangladesch. Sie alle sind Überlebende eines Säureattentats. Ihre Gesichter sind oft bis zur Unkenntlichkeit entstellt, trotz mehrfacher Operationen. Viele können die Schmerzen ohne Medikamente nicht ertragen. In ihrem Dorf werden sie misstrauisch beäugt. Nichts ist mehr wie zuvor.

Säure ist eine stark ätzende Substanz, die das Hautgewebe und sogar harte Knochen angreift. Blindheit oder Taubheit sind nicht seltene Folgen. Die Flüssigkeit wird in der Industrie, zum Beispiel in der Autoindustrie oder von Goldschmieden, gebraucht und auf dem Land wird Säure in kleinen Mengen zum Schutz gegen Schlangen in Schalen vor die Tür gestellt. Die männlichen Täter kostet ihr Werkzeug wenig: eine kleine Flasche ist schon für 10 Taka, etwa 13 Cent, erhältlich. Die Verkäufer brauchen laut Gesetz eine Lizenz, aber in der Praxis interessiert das niemanden.

Säureattentate treten in den meisten Ländern Süd- und Südostasiens auf, in Nigeria und Uganda, in Jamaika und in der Türkei. Nirgendwo ist die Zahl der Opfer aber so hoch wie in Bangladesch, dem kleinen Land neben Indien. Die grausame Praxis, einen Menschen zu entstellen und ihm Schmerzen zuzufügen, ist noch nicht sehr alt: In den 60ern wurde von einem ersten Fall berichtet. Seit den 90ern stieg die Zahl der Opfer dramatisch an und erreichte ihren Höhepunkt 2002 mit fast 500 Überlebenden. Es wird angenommen, dass es eine hohe Dunkelziffer gibt, weil viele Opfer sich schämen oder die Notwendigkeit einer Anzeige nicht sehen. In fast der Hälfte der Fälle ist der Grund für das Attentat ein Landdisput. Weitere Gründe sind Ehe- und Familienkonflikte, Ablehnung von Heiratsangeboten oder Mitgiftforderungen.

Romina wurde nach dem Attentat in ein lokales Krankenhaus gebracht, in dem man ihr nicht helfen konnte. Ihr Vater brachte sie daraufhin nach Dhaka, dort blieb sie mit Unterbrechungen ein Jahr lang. Ihr Zustand verbesserte sich kaum, ihr Gesicht war schwarz und sie hatte starke Schmerzen. Schließlich wurde sie von den Ärzten im Juli 2005 an die "Acid Survivors Foundation " (ASF) überwiesen, eine Organisation, die sich um die Überlebenden von Säureattentaten kümmert und ihnen medizinische und psychologische Hilfe anbietet. Die Art von Säure, die Amin verwendete, ist unbekannt. Jetzt trägt Romina dreimal täglich eine Creme auf, die ihr Gesicht normal aussehen lässt. "Sobald ich die Creme aber weglasse, wird die Haut sofort wieder schwarz und ich habe so starke Schmerzen wie in der ersten Nacht", sagt Romina. Die Familie kann sich die Creme auf Dauer nicht leisten. Ihr hübsches Gesicht lässt einen nicht ahnen, was in ihrem Inneren vorgeht. Romina hat starke psychische Probleme und weint oft. Eine Laserbehandlung musste abgebrochen werden, weil sie sich nicht mit den Medikamenten gegen ihre Depressionen vertrug. Ihr Onkel und ihre Cousins, die mit in ihrem Haus lebten, halten sie für mitschuldig, weil sie nachts alleine aus dem Haus gegangen ist. Sie verachten Romina für das, was ihr passiert ist. "Das tut mir mehr weh als die Schmerzen nach dem Attentat", sagt Romina. In dem mehrheitlich muslimischen Land Bangladesch, in dem Mann und Kinder die soziale Stellung der Frau bestimmen, sind entstellte Mädchen doppelt bestraft: Ihre Schönheit ist ihr höchster Wert. Dass sie noch jemand heiraten wird, ist unwahrscheinlich.

Amin ist zwar festgenommen worden, aber der Prozess geht nur schleppend voran. Von einer Partnerorganisation der ASF wurde Rominas Familie ein Rechtsanwalt gestellt. Gegen die allgegenwärtige Korruption ist aber auch er machtlos: Amins Familie hat Zeugen Schweigegeld zukommen lassen und dem Richter Geld angeboten, berichtet Romina. Ihr Vater und ihr Bruder erhielten Morddrohungen. Rominas Schwestern dürfen das Haus jetzt nicht mehr verlassen.

Rominas Fall ist typisch: Laut Schätzungen der "Acid Survivors Foundation" werden nur sechs bis zehn Prozent der Täter vor Gericht verurteilt. "Die meisten Opfer sind Analphabeten und wissen nichts über den juristischen Prozess oder misstrauen der korrupten Polizei und Justiz. Viele Familien einigen sich dann außergerichtlich mit der Familie des Täters. Der Täter kommt also meistens ungeschoren davon", sagt Badrunnessa Khuku, die Leiterin der Rechtsabteilung von ASF. Die Organisation war 2002 an der Verabschiedung neuer Gesetze, unter anderem des "Acid Crime Control Act"s, beteiligt. Die Ermittlungen und Gerichtsverhandlungen sollen nun in einem Zeitrahmen von 60 beziehungsweise 90 Tagen abgeschlossen sein und die Täter können nicht auf Kaution freigekauft werden. Außerdem wurden ein Nationales Komitee und Distriktkomitees eingerichtet, die den Handel mit Säure kontrollieren sollen. Die neuen Gesetze und die Aufklärungskampagnen der ASF haben zur Abnahme von Attentaten beigetragen. 2005 wurden noch 267 Bangladeschis Opfer eines Anschlags, davon waren über die Hälfte Frauen und ein Viertel Kinder unter 18 Jahren. Frauen sind leichter angreifbar und werden als Besitz des Mannes angesehen. Greift der Täter sie an, zum Beispiel wegen einer Landstreitigkeit, schadet er so auch dem Mann.

Romina möchte nicht nach Hause zurück. Ihr wurde durch die ASF ein Praktikum ermöglicht, durch das sie vorerst in Dhaka, der Hauptstadt Bangladeschs, bleiben kann. Im März soll sie endlich, fast zwei Jahre nach der Tat, vor Gericht aussagen. "Ich will, dass er lebenslänglich hinter Gitter kommt. Die Todesstrafe ist nicht richtig. Er würde nicht genug leiden."

Mehr BeiträgeAlle Beiträge

Ihre Spende kommt an.

Alle Projekte ansehen
Jetzt spenden

Sichere SSL-Verbindung