In der Dunkelheit
Wenn in Darshana abends der Strom ausfällt, läuft im Projektbüro der Jagorani Chakra Foundation nicht mehr viel. Es ist stockdunkel und die Mücken scheinen in noch größeren Schwärmen zu kommen. Und bis der Generator angeschmissen wird, der auch das Büro mit Elektrizität versorgen soll, vergeht manchmal etwas Zeit.
Heute Abend sind wir zu fünft: Azim der stellvertretende Projekt-Koordinator, Tahir, der verschiedene Trainingskurse für die Frauen des Projekts organisiert, Mizan der Buchhalter, Tota die Hilfskraft und ich der Freiwillige.
Ganz still und heimlich macht sich die Elektrizität wieder einmal davon. Es wird stockdunkel und ruhig. Niemand regt sich noch darüber auf, denn mittlerweile ist der Zustand hier zur Gewohnheit geworden. "Cha kaben?" - "Trinkst du Tee?", fragt Tota mich in der Dunkelheit. Was soll man sonst machen? Also gehen wir beide, mit einer Taschenlampe bewaffnet, zur nächsten Tee-Bude in der alten Bahnstation, an welcher Güterzüge aus Indien halten.
Der Tee-Stand ist auf dem Bahnsteig und besteht aus einem u-förmigen Holztresen, einem kleinen Kohleofen, auf dem zwei Kessel mit heißem Wasser stehen und einem Topf mit heisser Kuhmilch. Daneben ein Blechtablett mit kleinen Teegläsern, einem Teesieb mit Schwarztee und Zucker. An der Rückwand ein großes Regal, in dem fast Nichts steht. Tota und ich hocken uns auf die Bank vor dem Stand und trinken im Schein der Öllampe unseren Tee.
Und dann,…Pok Pok-pok…Pok Pok-pok…Pok Pok-pok…langsam und mit großem Getöse fährt hinter unserem Rücken ein Güterzug ein.
Mit der Ruhe ist es plötzlich vorbei. Männer und Frauen laufen den Bahnsteig entlang, die einen mit dem Zug, die anderen in die entgegengesetzte Richtung. Junge Burschen hängen an den Türen und auf den Trittbrettern der Waggons. Es wird wild durcheinander gebrüllt. Dann kommt der Zug zum Stehen.
Plötzlich tauchen unter den Waggons Menschen hervor, und geben den Wartenden Kisten und Säcke in die Hände. Salz, Zucker, Kohle,… was weiß ich. Sie packen sich die Sachen auf den Kopf und verschwinden in der Dunkelheit.
Und ich sitze mit Tota auf der Bank und schlürfe meinen Tee, während zwei Meter hinter mir die Leute ihren fragwürdigen Geschäften nachgehen. Weit und breit ist weder die Bahnhofswache noch die Polizei zu sehen - die wird auch nicht kommen. Denn das ganze scheint hier niemanden wirklich zu kümmern. Die Leute gehen ihrer Wege und die Schmuggler wickeln ihre Geschäfte ab.
Meinem leicht verwirrten und besorgten Gesichtausdruck begegnet Tota mit einem Grinsen. Und das Unbehagen beginnt ein bisschen zu weichen, als ich merke, dass diese Art von Beschäftigung hier wohl zum Alltag gehört, und in diesem armen Gebiet, wenige Kilometer von der indischen Grenze entfernt, eine mehr oder weniger geduldete und notwendige Einkommensquelle für einige Menschen ist. Sie sind ganz normale Leute.
Wir gehen zurück zum Büro und warten darauf, dass der Strom sich wieder blicken lässt.