Feuersterne
Man kann sich Dhaka als Stadt in Form eines Wassertropfens vorstellen. Ich wohne in Shyamoli, einem Bezirk der oberen Mittelklasse im mittleren Westen von Dhaka. Unser Ausflugsziel liegt im äußersten Südosten in der Nähe der "Kamalapur Railway Station", dem Hauptbahnhof von Dhaka. In allen Großstädten genießt das Gebiet um den Hauptbahnhof in der Regel keinen guten Ruf. Nun, in Dhaka ist das nicht anders!
Mitten im Slum steht eine Oase der Ruhe, der "Kamalapur Buddhist Temple", der größte buddhistische Tempel in Dhaka. So heißt er jedenfalls im Stadtplan, eigentlich heißt er "Dharmarajika". Heute ist ein ganz besonderer Tag, heute Abend feiern die Buddhisten "Thadimgyut", auf deutsch "Lichterfest". Es ist der Abschluss einer dreimonatigen Periode, in der es den Mönchen untersagt ist, das Kloster zu verlassen. Sie sollen in dieser Zeit meditieren, alte Schriften studieren, sich Wissen aneignen, um dann das Kloster mit Weisheit zu verlassen und zu predigen.
Wir bezahlen die knapp zwei Euro fürs Taxi und laufen durch festliches Gedränge zum Eingangstor. Vorbei an schwer bewaffneten Polizisten betreten wir die Tempelanlage, und tauchen in ein Meer der Stille ein. Die Tempelanlage ist um einen kleinen, rechteckigen, künstlich angelegten See gebaut, in dessen Mitte sich ein kleiner Schrein befindet. Das Herzstück des Tempels ist ein aus Sri Lanka gestifteter Buddha, der mit viel Weihrauch und Blumen geschmückt ist.
In ausgezeichnetem Englisch empfängt uns Maung, mit seinen dreißig Jahren schon der dritthöchste Mönch des Klosters und ein Mann, der eine angenehme Ausgeglichenheit ausstrahlt. Er führt uns durchs Kloster, erzählt, berichtet und lädt uns anschließend in seinen Raum auf eine Tasse Tee ein. Nun, statt Tee gibt es Sprite und auch sonst ist Maung ein moderner Mönch. In seinem sehr spartanisch eingerichteten Raum gibt es einen Laptop. Ein Handy besitzt Maung auch, welches auch regelmäßig klingelt. Normalerweise sind buddhistische Mönche besitzlos, doch Maung geht mit der Zeit, hat er doch seinen Magister in Norwegen gemacht.
Mittlerweile ist es dunkel geworden und die Klosteranlage hat sich gefüllt. Überall leuchten bunte Laternen, Lichterketten oder aus den offenen Schreinen hunderte von Kerzen. Die Menschen sind geschmückt und ausgelassen. Ich bin sofort von einer Schar kleiner Kinder umringt, die mich auf Schritt und Tritt verfolgt und mit Fragen bombardiert. Die Mädchen und Frauen sind in prächtige, farbenfrohe Gewänder gehüllt, die sie wie aus tausendundeiner Nacht erscheinen lassen, dazu tragen sie wertvollen Schmuck und sind mit feinen Hennamustern bemalt. Es gibt Musiker und Feuerspucker. Alles in allem eine wirklich bezaubernde Atmosphäre. Man sieht auch sehr viele Muslime.
Als Buddha seinen Jüngern vom Tod berichtete, schor er sich sein Haar und hielt es in seiner Hand. Dann öffnete er die Hand und sagte: "Wie mein Haar jetzt zu Boden gleitet, wird meine Seele meinen toten Körper verlassen und hinauf zum Nirwana schweben." Als Andenken daran lassen die Buddhisten zum Abschluss des Lichterfests riesige handgemachte Heißluftballons zum Himmel schweben. Sie sehen aus wie vier bis fünf Meter lange Kondome mit einer Fackel in der Mitte. Im Laufe des Abends lassen die Mönche etwa 400 solcher Ballons, die mit Sprüchen, Wünschen und Zeichnungen bemalt sind, unter dem lauten Jubel der etwa 6.000 Besucher in die Luft steigen. Die Fackeln, welche die nötige Heißluft liefern, lassen den Ballon wie eine riesige Laterne leuchten.
Die klare Vollmondnacht verwandelt sich in einen Sternenhimmel voll großer und kleiner Feuersterne, die nach und nach den ganzen Himmel zum Leuchten bringen. Alle, ob groß oder klein, jung oder alt, starren fasziniert zum Himmel.