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Feierlichkeitsgeschäftigkeit

Es ist Mittwoch, trotzdem bleibt das Büro heute geschlossen. Als prinzipiell stärker nachtaktiv veranlagter Mensch beschließe ich den Tag erstmal zum Ausschlafen zu nutzen. Als es dann doch am relativ frühen Morgen an meine Tür klopft kann ich eine gewisse Gereiztheit nicht unterdrücken. Die Uhr zeigt halb acht. Wer kann das bloß sein? Doshun, der Angestellte des Gasthauses, in dem ich wohne, kommt nur selten vor mir aus den Federn. Das Klopfen wird eindringlicher, meine Tendenz es einfach zu ignorieren nimmt immer mehr ab. Als von draußen noch Gesang herein klingt wird weiter schlafen zur Unmöglichkeit. Ich stehe auf. Als ich aus der Tür trete zeigt ein Blick in Doshuns Augen mir sofort, dass auch er nicht aus eigenem Antrieb um diese Uhrzeit aufgestanden ist. Ordentlich aufgereiht stehen dort die Mitarbeiter des FSDP- Büros, die bangladeschische Flagge wurde gehisst, die Nationalhymne wird gesungen und alle geloben das Land zu lieben und ihm zu dienen. Natürlich kann ich nicht nur zusehen, sondern eine aktive Beteiligung wird erwartet. Es ist der 16. Dezember - "Victory Day" in Bangladesch. Die Unabhängigkeit von Pakistan wird gefeiert. Den ganzen Tag werden Fahnen gehisst, Kindergruppen führen kampflastige den Sieg zelebrierende Stücke auf, es wird getanzt und gesungen. Ein großes Befremden meinerseits ist da, mischt sich dann allerdings langsam doch mit Faszination.

Mittlerweile ist es also Dezember geworden. Die Kälte hat auch hier Einzug gehalten. Über Verteiler landen Einladungen zum Plätzchen backen und Glühwein trinken in meinem Posteingang. Von Weihnachtsstimmung bin ich weit entfernt. Arm an Feiertagen ist dieser Monat trotzdem nicht. Schon Anfang Dezember setzte sich das ganze Land in Bewegung, um in Anlehnung an eine Korangeschichte Eid-ul-adha, das muslimische Opferfest, mit Verwandten und Freunden zu feiern.

Unabhängig von den Eidfeierlichkeiten wollte auch ich an besagtem Tag nach Dhaka fahren. "Nach Dhaka rein ist kein Problem, alle Leute fahren aus der Stadt raus in ihre Heimatregionen"- sagten meine Kollegen. Dieser Satz taucht noch häufig in meinen Gedanken auf, als ich um ein Uhr nachts aus dem Busfenster blicke. Vor uns ein Transporter voller Kühe, vor und neben dem Bus unzählige weitere Busse, Menschen in den Busgängen, Menschen auf den Busdächern, Menschen wartend am Straßenrand in der Hoffnung auf die Ankunft weiterer Busse. Zwischen drin Kinder, die Chipstüten und Wasserflaschen an all jene verkaufen, die wie ich damit gerechnet haben pünktlich zum Abendbrot irgendwo anzukommen.

Als wir schließlich in Dhaka ankommen ist es drei Uhr nachts. Einhellige Meinung aller Beteiligten: - Ein Ausländer sollte, zumal noch mit einem Rucksack voll vermeintlich wertvoller Sachen, nachts nicht allein durch Dhaka fahren. Nun gut, also heißt es warten. Glücklicherweise bin ich nicht die einzige hier "Gestrandete". Als ich mich um sieben Uhr morgens mit dem Aufgang der Sonne entschließe endlich zu unserer Wohnung zu fahren, ist von dem Bus meines Hauptgesprächspartners, der ihn bereits am Vorabend um 23 Uhr abends nach Rajshahi bringen sollte, noch nichts zu entdecken.

Einige Wochen später ein ähnliches Bild. Es ist der 24. Dezember. Endlich Weihnachten. Glücklicherweise ist an diesem Tag nicht das ganze Land in Bewegung, sondern nur die wenigen Christen in Bangladesch. Dazu gehören auch die Garos. Eine Adivasigruppe (Adivasi ist ein Sammelbegriff, unter den die sogenannten Ureinwohner gefasst werden), deren Angehörige fast sämtlich zum Christentum konvertiert sind. Zumindest an der Busstadion, wo die Busse Richtung Mymensingh - der Region, in der die meisten Garos leben - abfahren, ist es wieder voll. Auch ich sitze, dank einer Weihnachtseinladung, wieder in einem Bus in dessen Gang sich so viele Taschen stapeln, dass jedes Aussteigen an einer Raststätte zur Kletteraktion wird.

Einige von den Garos, die jetzt mit mir im Bus sitzen, haben es in Dhaka zu Wohlstand gebracht. Sie haben moderne Wohnungen und doch sind sie alle gekommen, um für einige Tage in Wolldecken gehüllt wieder bei Verwandten in ihren Heimatdörfern zu leben. Die Kinder und Jugendlichen werden tanzend von Haus zu Haus ziehen und dafür Reiskekse und Tee erhalten. Einige werden in die Kirche gehen und spätestens beim gemeinsam ausgerichteten Essen für das ganze Dorf werden die Teller nicht mehr für alle reichen.

Was treibt die Menschen dazu mitten in der Nacht aufzustehen? Was treibt sie in die Busse? An einem anderen Tag, an einem anderen Ort auf einer Bühne in Dhaka oder einer Wiese in Palpur drehen sich Adivasis tanzend im Kreis. Wie viele andere sogenannte Traditionen haben sich auch diese vermeintlich alten Tänze verändert. Sie wurden gekürzt, mit moderner Musik kombiniert und angepasst, um sie für das moderne Publikum interessant zu gestalten. Was gibt es zu bewahren, jenseits von Romantik? Was treibt den Menschen an soviel Energie und Mühe darauf zu verwenden?

Vermutlich treibt mich etwas ähnliches an, wenn ich neue Feierlichkeiten genieße, aber gleichzeitig mit viel Vehemenz und Aufwand das einzige deutsche eingeflogene Paket Lebkuchen gegen anrückende Ameiseninvasionen schütze. Eventuell würden sich doch die Ameisen auch sehr über einen weihnachtlichen Leckerbissen freuen. Wer weiß schon, welche Feste sie so in den Wand ritzen feiern?

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