Familie auf Distanz?
Ich sitze mal wieder im Bus auf meiner oft zwölfstündigen Fahrt von Dhaka nach Ulipur. Inzwischen bin ich an die schnelle und riskante Fahrweise auf den engen Straßen gewöhnt und habe nicht mehr das Gefühl, mich an meinen Sitz klammern zu müssen, damit ich bei der nächsten Bodenschwelle nicht bis an die Decke fliege. Mir ist sogar langweilig, also unterhalte ich mich mit meinen Sitznachbarn. Freudig überrascht über meine paar Krümel Bengalisch und verwundert, einen Ausländer auf dem Weg ins ländliche Gebiet zu treffen, erzählt er mir, dass auch er für eine NGO arbeitet. Er heißt Tarek und ist als Bereichs-Manager bei einer NGO angestellt, die in Rangpur ansässig ist. Seine Familie, eine zwölfjährige Tochter und ein neunjähriger Sohn, lebt aber in Chittagong. Mit dem Bus braucht man von Rangpur nach Chittagong etwa 14 Stunden. „Nach über drei Monaten habe ich sie diese Woche endlich wiedergesehen“, offenbart Tarek mir, „öfter geht das nicht.“
Viele Angestellte lokaler NGOs sind allein für befristete Projekte angestellt. Das bedeutet, dass sie nach Projektschluss (meistens läuft ein Projekt etwa zwei bis vier Jahre) neue Jobs brauchen. Und diese finden sie selten in der gleichen Organisation, nicht mal in der gleichen Region. Damit der Familie erspart wird andauernd umzuziehen und sich an neue Leute und ein anderes Umfeld gewöhnen zu müssen, lebt der Mann in solchen Fällen oft alleine nahe seiner Arbeit, während Frau und Kinder in einer der Städte, wo es gute Schulen und andere Verwandte gibt, leben.
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Nahe des Dorfes Nazimkhan in Kurigram lebt Meghna Begum. Sie gehört zu den extrem armen Frauen, deren Familien seit neuestem von “Ein Leben lang genug Reis“ unterstützt werden. Um der Familie wenigstens die existenziellen Bedürfnisse zu sichern, arbeitet ihr Mann 6 Monate im Jahr als Rikschafahrer in Chittagong. Während dieser Zeit muss sich Megna gleichzeitig um ihre drei kleinen Kinder und den Haushalt kümmern sowie so gut es geht als Tagelöhner dazuverdienen. Durch das Einkommen ihres Mannes ist die Schulausbildung von den Kindern gesichert – wenn nichts Unerwartetes passiert.
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So wie Meghna und Tarek geht es vielen hier in Bangladesch. Familien, die unter einem Dach zusammenleben können, sind entweder glücklich oder haben kaum Chancen aus der Armut herauszukommen. „Man muss sich mit seiner Situation arrangieren und seine Pflicht als Hauptverdiener über das Bedürfnis, bei seiner Familie zu leben, stellen.“, meint Tarek. Meghna sagt: „Die Zeit in der mein Mann weg ist, ist zwar schwer, aber ich freue mich immer auf seine Rückkehr. Das gibt mir Kraft.“