Erste Hilfe nach dem Wirbelsturm
Die Aufräumarbeiten in den Dörfern von Netrakona haben begonnen. Der Tornado hat vieles zerstört. Einige Organisationen verteilen Nahrungsmittel und Kleidung. NETZ hat die Versorgung von 1.000 Familien mit Medikamenten übernommen. Doch die Stimmung in den Dörfern ist von Verzweiflung und Trauer geprägt.
Im Krankenhaus von Netrakona besuche ich eine verletzte Bekannte. Schon im Treppenhaus schlägt mir ein unangenehmer Geruch entgegen. Hygiene scheint hier ein Fremdwort zu sein. Überall auf dem Fußboden schwirren Fliegen um kleine braune Pfützen herum. Ich betrete einen großen stickigen Raum, vierzig Betten stehen darin. Doch sie reichen bei weitem nicht aus. In manchen Betten liegen zwei Personen. Und entlang der Wände liegen Verletzte auf dem Boden - nur auf Decken gebettet. Eine Krankenschwester kehrt den Boden und schiebt mit ihrem Besen blutige Mullbinden, jede Menge Dreck und Ungeziefer vor sich her. Ich halte die Luft an; für einen Moment wird mir schwindelig.
Meine Bekannte Rana ist beim Tornado von einem Stück Wellblech getroffen worden. Sie hat schwere Schnittwunden am Kopf und am rechten Bein. Zwei Wochen noch muß sie im Krankenhaus bleiben. Sie ist verzweifelt, weil sie nicht weiß, was sie machen soll wenn sie entlassen wird. Sie kann kaum laufen und ihr Haus steht nicht mehr. Später spreche ich mit dem zuständigen Arzt. Er sagt, dass er einhundertfünfzig Patienten auf einhundert Betten verteilen musste. Die Medikamente gehen langsam zur Neige und er macht sich Sorgen, ob der Nachschub rechtzeitig kommt.
Vor allem mit den Menschen im Dorf Jalalpur verbindet mich eine enge Freundschaft. Dort leben Mitglieder der Menschenrechtsgruppen, mit denen ich seit Monaten zusammenarbeite. Oft saßen wir in der Teebude am Ortseingang zusammen und haben uns über unsere Arbeit und das Dorfleben unterhalten. Jetzt gibt es diese Teebude nicht mehr. Auch andere Treffpunkte, an denen sich die Menschen versammeln konnten wie die Moschee und die Schule, sind zerstört. Zusammen mit meinen Kollegen von Ain-o-Salish-Kendro besuche ich das Dorf. Wir sitzen zwischen zerstörten Strohhütten und Zelten, die von der Armee verteilt worden sind. Vierundzwanzig Familien sind vom Tornado unmittelbar betroffen, für sie haben wir Geld mitgebracht. Doch wir sind erstaunt: Vier Familien, die am schlimmsten dran sind, sollen mehr Hilfe erhalten als die anderen. So wollen es die Bewohner des Dorfes. Eine Familie hat ihren Sohn verloren, bei einer anderen ist ein Kind schwer verletzt. Die anderen beiden Familien haben buchstäblich alles verloren. Dafür verzichten die anderen gerne auf einen Teil der Hilfe.
Wir sind beeindruckt, wie sehr sich die Menschen aus dem Umkreis des Katastrophengebiets für die Opfer des Tornados einsetzen. Viele kommen auf Rikschas von weit her und bringen Essen mit. Andere spenden etwas Geld oder verteilen Kleidungsstücke. Doch auch vier Wochen nach dem verheerenden Wirbelsturm fehlt es vielen Menschen noch am Allernötigsten. Vor allem benötigen die Familien jetzt Wiederaufbauhilfe für ihre Landwirtschaft.