Eine Fahrt und viel Bangladesch
Endlich bin ich angekommen in meinem Dorf in Patnitala, einem Unter-Distrikt in Naogaon. Der Distrikt Naogaon liegt in der Division Rajshahi. Ein bangladeschischer Distrikt ist in etwa mit einem Landkreis in Deutschland zu vergleichen. Eine Division ist eine Verwaltungseinheit, die ungefähr einem deutschen Bundesland entspricht. In Bangladesch gibt es sieben Divisionen: Barisal, Chittagong, Dhaka, Khulna, Rajshahi, Rangpur und Sylhet. Rajshahi liegt im Nordwesten des Landes, an der Grenze zum indischen Bundesstaat Westbengalen.
Schon die Fahrt aus Dhaka hierher gestaltet sich recht turbulent. Die Hauptstadt Bangladeschs ist mit seinen fast 15 Millionen Einwohnern die neunt größte Stadt der Welt. Es dauert über drei Stunden diese Megastadt in Richtung Norden zu verlassen. Ich überwältigt vom unendlichen Grün, das sich links und rechts von mir ausbreitet, als der klapprige Bus endlich das laute, verkehrsüberflutete und dicht besiedelte Dhaka verlässt. Es geht vorbei an Reisfeldern und Bananenplantagen. Ich glaube, dass Irland und das Allgäu zusammen nicht so viel Grün zu bieten haben.
Als wir uns nach einigen Stunden der Jamuna-Brücke nähern, komme ich aus dem Staunen nicht mehr heraus. Eine so lange Brücke habe ich noch nie gesehen. Auf einer Gesamtlänge von 4,8 km erstreckt sie sich über den gewaltigen Fluss, der an der Stelle so breit ist wie die Brücke lang. Man sieht kein Ende des Wassers mehr und kommt sich etwas vor wie am Meer. Der Jamuna ist einer der drei größten Flüsse in Bangladesch. Er entspringt im Südwesten Tibets, dort heißt er Yarlung Tsangpo, fließt weiter nach Süden, durchbricht den Himalaya und heißt dann in Indien zunächst Dihang, bevor er die Flussebene des Bundesstaates Assams als Brahmaputra durchquert. In Bangladesch heißt der Fluss dann, nach dem Zufluss des Flusses Teesta im Norden des Landes, Jamuna. Weiter südlich trifft der Jamuna mit dem Padma, der auf indischer Seite Ganges heißt, zusammen, um sich schließlich mit dem Fluss Meghna zu vereinen. Und gemeinsam fließt das Wasser der drei Flüsse dann in die Bucht von Bengalen.
So könnte ich stundenlang meine Gedanken vom Fluss treiben lassen, aber die holprige Fahrt geht weiter. Eigentlich wird es jetzt erst richtig wackelig. An unserem Busfahrer ist anscheinend ein Formel-1-Champion verloren gegangen und so schießen wir plötzlich ungebremst über eine Temposchwelle. Das gefällt dem Bus gar nicht. Es scheppert verdächtig an der Hinterachse. Also beschließt der Busfahrer, in einem Dorf auf dem Weg anzuhalten. Sofort eilt ein Mechaniker zur Hilfe. Dieser fängt an mit einer riesengroßen Brechstange auf die Hinterachse des Busses einzuschlagen. Ich und meine Mitfahrer werden langsam etwas nervös. 90 Minuten geht das jetzt schon so. Bum, bum, bum. Aber alles kein Problem, irgendwann scheint der Schaden behoben. Wir fahren weiter und zu meinem Erstaunen, macht der Bus jetzt deutlich weniger Geräusche. Als wir weiter rasen, ist mir trotzdem nicht ganz wohl bei dem Gedanken, dass der Bus nur durch stumpfe Gewalteinwirkung wieder flott gemacht wurde.
Auf bangladeschischen Straßen gilt definitiv das Recht des Stärkeren beziehungsweise des Größeren und Schnelleren. Busse haben dementsprechend Vorfahrt vor Hühnern, Hunden, Kühen, Rikschas, Motorrädern und Autos, die alle gleichzeitig überholt werden, in beide Richtungen versteht sich. Das ist ziemlich anstrengend für jemanden der den geregelten deutschen Verkehr gewöhnt ist und so bin ich unendlich froh, als ich nach 13 Stunden die 350 km hinter mir habe und, mit dem Gefühl einen Teil des „wahren“ Bangladeschs kennengelernt zu haben, in meinem neuen Zuhause ankomme.