Eine Bideshi auf Reisen
Ich möchte nach Dhaka fahren. Am Donnerstag. Um 9 Uhr. Linke Seite. Mitte. Neben einer Frau bitte.
Es ist Mittwochabend. Nach einem langen Arbeitstag stehe ich nun in dem Laden einer Busgesellschaft Bangladeschs und versuche mir ein Busticket nach Dhaka zu kaufen. Erstaunlicherweise händigen mir die drei Männer, die hinter ihrem großen Schreibtisch sitzen und Tee trinken, nach einigem Gelächter über eine Bideshi (Ausländerin), das richtige Ticket aus. Ich gebe 250 Taka. Umgerechnet sind das zirka 2,50 Euro, die ich für die sechsstündige Fahrt bezahle. Nach dem ersten Monat in Joypurhat, bei meiner Partnerorganisation Ashrai, breche ich nun zu meinem nächsten Teamtreffen mit den anderen NETZ-Freiwilligen nach Dhaka auf. Ein komisches Gefühl wieder in diese große und lärmende Stadt zurückzufahren. Aber ich freue mich sehr, bedeutet es doch die anderen Freiwilligen wiederzutreffen und zu erfahren, wie es ihnen im letzten Monat ergangen ist.
Am Donnerstagmorgen stehe ich also mit meinem Rucksack und einem flauen Gefühl, wenn ich an die bevorstehende Busfahrt denke, wieder im Laden und warte darauf, in den Bus einzusteigen.
Busfahren ist in Bangladesch gewöhnungsbedürftig. Jeden Tag kann man in den Zeitungen von unzähligen Unfällen mit Toten lesen. Das ist auch kaum verwunderlich bei den wahnwitzigen Fahrstilen der Busfahrer, denke ich. In Bangladesch herrscht Linksverkehr. Deswegen sind die sichersten Plätze auch die auf der linken Seite in der Mitte. Da wo der Gegenverkehr bei einem Unfall eher nicht hineinfährt und man nicht Todesangst haben muss, fahren die Busse auf der anderen Seite doch oft nur eine Handbreit aneinander vorbei.
Endlich sitze ich im Bus. Neben mir nimmt eine Frau in einer rosa Burka Platz. Ihre neugierigen Augen streifen mich immer wieder und nach ein paar Minuten beginnen wir ein angeregtes Gespräch. Wie sich herausstellt heißt die Frau Shanti (Frieden), ist 23 Jahre alt und studiert an der Universität von Joypurhat Wirtschaft. Ihr Englisch ist das Beste, das ich seit langem gehört habe. Ich bin beeindruckt und frage sie, warum sie nach Dhaka fährt. Shanti sagt, sie wird dort ihre Tante besuchen und ihren künftigen Ehemann treffen. Sie ist schon sehr aufgeregt und freut sich auf das Stadtleben.
Ein paar Minuten später bittet mich Shanti, am Fenster sitzen zu dürfen. Ich verstehe nicht so ganz warum, willige aber ein. Nach einigen Sekunden wird mir klar, das auch Bangladeschis nicht den stärksten Magen haben und so verbringt Shanti auch noch die nächsten zwei Stunden damit, ihren Kopf aus den Fenster zu hängen.
Vier Stunden sind um. Und wir haben immer noch nicht den Jamuna, den größten Fluss Bangladeschs, überquert. Irgendwann hält der Bus am Straßenrand an. Es riecht nach Benzin und angebrannten Plastik. Die meisten Passagiere unseres Busses steigen aus. Ich frage Shanti, ob es ein Problem gibt und erhalte die typische Antwort. "Nein, es gibt kein Problem. Die Leute steigen nur aus, weil sie gucken wollen, wie sie helfen können." Das kommt mir komisch vor und als ich aus dem Fenster schaue und meinen Rucksack zusammen mit dem Gepäck der anderen Leute am Straßenrand liegen sehe, beschließe ich, dass ich nun auch aussteige. Shanti folgt mir. Schließlich erfahre ich, dass der Bus kaputt ist und dass wir warten sollen bis der nächste kommt. Also warten wir. Und warten. Irgendwo zwischen Zuckerrohrplantagen und Reisfeldern.
Plötzlich schultert der Großteil der mit mir wartenden Passagiere ihr Gepäck und rennt los. Ich weiß nicht warum und beschließe mich ab jetzt ganz an Shanti zu halten. Sie muss ja schließlich auch irgendwie in Dhaka ankommen. Wie sich rausstellt kommt ein neuer Bus unserer Busgesellschaft, der auch hält. Was ich nicht bedacht habe ist, dass dieser Bus ja auch schon vollbesetzt auf der Fahrt nach Dhaka ist. Die Leute versuchen trotzdem sich hineinzudrängen. Mir ist schnell klar, dass ich da ganz bestimmt nicht mehr reinpassen werde und setzte mich wieder auf meinen Rucksack. Jetzt warten nur noch Shanti, zwei alte Männer, der Busfahrer des kaputten Busses und ich.
Nach einer halben Stunde kommt ein neuer Bus und hält für uns. Wir bekommen sogar noch Plätze, und so sitze ich nun mit meinem schweren Rucksack auf dem Schoß, neben einem mich permanent anstarrenden Jungen auf der rechten Seite. Entspannen kann ich nun überhaupt nicht mehr, leide ich doch jedes Mal Ängste, wenn der Gegenverkehr auf uns zurast, der in letzter Sekunde auf die andere Fahrbahn und nur mit wenigen Zentimetern Abstand an unserem Bus vorbeifährt. Wenigstens bin ich in drei bis vier Stunden in Dhaka - denke ich.
Wir überqueren endlich den Jamuna. Jetzt kann es ja nicht mehr so weit sein. Langsam wird das ewige Sitzen nervig und ich will endlich in Dhaka ankommen. Doch ironischer Weise hält auch dieser Bus wieder am Straßenrand. Ich denke, zweimal auf einer Busfahrt kann mir so ein Unglück nicht passieren, doch es geht offensichtlich wirklich. Der Bus ist wieder kaputt. Und dasselbe Spiel geht von vorne los. Ich steige mit allen anderen aus, schultere meinen Rucksack und postiere mich so, dass ich einen neuen Bus sofort sehe. Zum Glück kommt dieser auch schon nach einer viertel Stunde. Ich habe dazu gelernt und renne jetzt einfach auf den Bus zu, anstatt zu warten und drängel mich mit den anderen hinein. Die Hälfte der Leute passt aber nicht mehr hinein, ist dieser Bus doch auch schon voll besetzt.
Ich stehe wie viele andere im Gang und versuche das Gleichgewicht und meinen Mageninhalt bei mir zu behalten. Der Kontrolleur des Busses will die Bideshi aber nicht stehen lassen und drängelt sich und mich bis nach ganz vorne durch. Ich soll mich auf die Stange neben dem Fahrer setzten. Ich lehne zuerst ab, doch dann erfahr ich, dass die Fahrt noch mindestens drei Stunden dauern wird. Schließlich ist mir alles egal, ich nehme auf einer kleinen Ablage neben dem Fahrer Platz und habe nun eine einmalige Panorama-Aussicht auf den Verkehr, meinen Fahrer und die Möglichkeit, ihm jederzeit ins Lenkrad zu greifen. Der Fahrer und die anderen Passagiere finden es sichtlich komisch, wie ich permanent zusammenzucke und sehnsüchtig an meinen anfänglichen Platz zurückdenke. Auf der linken Seite. In der Mitte. Neben einer Frau.
Nach ein paar Stunden hat sich der Bus endlich durch den vertrauten Stau um Dhaka gekämpft, hat Textilfabriken, Slums und Busfriedhöfe passiert und endlich kann ich aussteigen. Es ist dunkel. Ich habe zwar keine Ahnung, wo in Dhaka ich gerade bin, aber ich weiß: ich bin nur noch eine Taxifahrt von meinem Bett in der Freiwilligenwohnung entfernt.