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Ein Vogel im Käfig

Auf die Frage, ob ich ein Foto von ihr machen darf, antwortet sie mit einem breiten Grinsen. Nachdem sie sich noch etwas Lippenstift aufgetragen und kurz ihr äußeres Erscheinungsbild überprüft hat, schwingt sich das kleine Geschöpf gekonnt auf das viel zu hohe Bett. Ihr farbenfroher Sari und das verspielte Lächeln schaffen es fast, mich den Dreck an den Wänden ihres kleinen Kabuffs vergessen zu lassen. Für einen kleinen Moment spüre ich nichts von dem Elend und Leid, das ich in den letzten Stunden erfahren habe. Ich sehe lediglich ein angeblich 22-jähriges Mädchen mit Kindergesicht, dass Spaß daran hat wie ein Supermodel ihren Kopf nach hinten zu werfen und verschmitzt in die Kamera zu lächeln.

Aber schon klopft es an der Tür und ein ungeduldiger Freier gibt uns zu verstehen, dass es nun Zeit ist die lästige Fragerei zu beenden. Zurück geschleudert in die Realität packe ich schnell meine sieben Sachen zusammen und zwänge mich durch die viel zu kleine Eingangstür. Ich werfe einen kurzen Blick auf den jungen Mann von vielleicht 25 Jahren, und bahne meinen Weg vorbei an laut schwatzende Frauen, Mädchen und kleinen Kindern. In der Mitte des Getümmels ergattere ich einen kleinen Stuhl.

Durchatmen, sacken lassen, verdauen.

Bulbuli ist nur eine von Hunderten Prostituierten in Jessore. Nachdem ihr Vater die Familie verließ, um erneut zu heiraten, lockte eine Bekannte das Mädchen unter falschen Versprechungen in das Bordell. Nach einiger Zeit gelang es ihr, sich selbstständig zu machen und heute bezahlt sie mit ihrem Einkommen die Ausbildung ihrer zwei jüngeren Brüder. Sie hat ihre Geschichte offen erzählt – ohne dabei eine einzige Gefühlsregung zu zeigen. Nur bei der Frage, was sie sie sich für die Zukunft wünscht, kam das Mädchen ins stocken. Nach kurzer Zeit fiel ihr aber auch darauf etwas ein: Geld sparen, einen kleinen Laden kaufen und endlich hier ausziehen.

Ich schaue mich um und beobachte, wie wunderschöne Gewänder über dem Dreck der slumähnlichen Behausungen im Wind wehen. Ich sehe Rani, die mit 8 Jahren das erste Mal verheiratet wurde, mit 16 Jahren in das Bordell kam und heute Räume an die jungen Mädchen vermietet. Neben ihr ist Ranu damit beschäftigt ihr langes schwarzes Haar zu kämmen. Nachdem sie vergewaltigt wurde, verkaufte man sie an das Bordell, um den Ruf ihrer Familie zu schützen. Aus den Augen aus dem Sinn. Heute hat auch sie ein kleines Zimmer mit Blick auf eine Steinmauer.

Ein kleines Mädchen von vielleicht 3 Jahren rennt auf mich zu. Sie wird nächstes Jahr in „Children’s Haven“, dem Schutzhaus der Nichtregierungsorganisation Jagorani Chakra Foundation aufgenommen. Die Arbeit und Erfolge der Organisation machen mich ein wenig zuversichtlicher. Neben der Errichtung des Heims für die Kinder der Prostituierten haben sie seit dem Beginn ihres Projekts im Jahr 2002 zahlreiche Rechte für die Frauen erkämpft. Beispielsweise dürfen die Frauen mittlerweile mit Sandalen auf die Straße gehen und werden nicht mehr auf dem Tierfriedhof neben toten Hunden begraben. Vor allem aber gelang es Jagorani Chakra Foundation den Einfluss von Polizeikorruption und Mafia-Strukturen einzuschränken. Und morgen nehmen die Frauen das erste Mal frei an den Upazila-Wahlen teil.

Das kleine Mädchen zupft ungeduldig an meinem Arm und will endlich fotografiert werden. Also werfe ich einen letzten Blick auf die Tür von Bulbuli. Sie trägt den Namen eines Vogels. Passenderweise hängt neben ihrem Zimmer ein kleiner Vogel in einem Käfig. Endlich packe ich meine Kamera aus und lasse mich wieder mitreißen - von dem Lachen der Frauen und den Kindern. Schnell hat sich ein Kreis von Supermodels um mich gebildet: „Ja ich komme wieder! Und ja, ich bringe euch die Fotos mit.“

Fotos: Lisa Kronauer

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