Ein Tee am Abend und doch viel mehr...
Als mich Shunil, der kleine Küchenjunge, fragt, ob ich mit ihm zusammen zu seinem Haus gehen will, habe ich eigentlich gar keine Lust. Wo denn sein Haus sei, frage ich. In Dulahazara, dem nächsten Örtchen, es ist ein bisschen größer als Malumghat. Ich tue ihm den Gefallen und sage zu. Mich zum Übernachten zu überreden, schafft er aber nicht, ich denke an einen schnellen Tee in einem dieser halbfertigen "Häuser" aus Beton, dann werde ich mich verabschieden.
An einem Donnerstagnachmittag starten wir mit einem der Pick-up's, die ständig umher fahren und auf die man aufspringt. Will man wieder raus, muss man vorher rufen. Mitfahren kann man auf den Sitzbänken, aber genauso gut auf der linken Seite und der Mitte der Motorhaube - auf der rechten muss der Fahrer rausschauen -, dem Dach oder irgendwo, wenn man einen Fuß platzieren kann und gleichzeitig etwas zum festhalten findet. In Dulahazara laufen wir ein Stückchen zum Telefonladen des Bruders, der sich als Bretterbude mit Bänken, Teeladen und Fernseher entpuppt. Anscheinend hat er auch ein Handy, mit dem man gegen Entgelt telefonieren kann. Der Tee ist jedenfalls gut. Der Bruder hat zwar kein Interesse mit mir zu reden, wie mir scheint, dafür aber irgendein junger, Tee-Trinkender Gast, Student in Cox's Bazar, der mich über Deutschland, mein Leben und vieles mehr ausfragt. Es ist eigentlich ganz lustig mit ihm zu reden. Ich versuche ihm zu erklären, dass nicht alles an Deutschland toll ist. Dass man zum Beispiel mehr Geld hat, dass dafür aber auch alles mehr kostet. Dass die Mentalität der Menschen ganz anders ist. Dass man zum Beispiel einen Fremden, noch dazu einen Ausländer, nicht einfach auf einen Tee einlädt. Oder wie es mir vor ein paar Tagen passiert ist, dass man mich fragt, ob ich bei einer hinduistischen Puja - das ist ein besonderer Festtag mit Gottesdienst im Tempel - teilnehmen will. Ich kann mir nur schwer vorstellen, wie ein Schwarzer, der vor einer Dorfkirche steht, eingeladen wird, zum Gottesdienst zu kommen. Dass die deutsche Mentalität so anders ist, dass ein Bangladeschi nicht unbedingt glücklich leben würde.
Er beschließt dann irgendwie mitzukommen, als ich mit Shunil in Richtung seines Hauses aufbreche. Inzwischen habe ich auch verstanden, dass Shunils Familie außerhalb Dulahazaras wohnt. Es geht auf Abkürzungen, über kleine Dämme, durch Reisfelder hindurch, wir balancierend über eine Brücke aus zwei Bambusstäben, ein Stab ist für die Füße, der andere zum Festhalten und kommen schließlich in eines der Dörfer, in die ich sonst immer mit den Mitarbeitern der Entwicklungsorganisation BASTOB gehe. Es wird allmählich dunkel, der Mond wird sichtbar, als wir schließlich an seinem Haus sind. An zwei Stroh fressenden Kühen vorbei, geht es durch einen kleinen Vorhof mit Bäumen. Ich begrüße Shunils Mutter und seine kleine Schwester, die sich daraufhin erst mal versteckt und mich aus guter Entfernung begutachtet. Beim Eintreten ins Haus schlage ich mir den Kopf an, der Eingang ist nicht für europäische Körpergröße geschaffen. Das Haus besteht aus Lehmwänden und Lehmboden, das Dach aus Wellblech. In der Mitte ist ein großer Raum. U-förmig liegt darum herum ein etwa zwei Meter breiter Gang mit Strohdach. Es gibt einen Stuhl, einen länglichen Tischhocker und ein paar Schemel, drei Bambusmatten auf denen man schläft und ein paar Gegenstände wie Töpfe, die auf dem Boden stehen. Zwei Öllampen beleuchten das Zimmer. Wie in allen Hütten gibt es keine Fenster. Wie immer wird mir der einzige Stuhl angeboten. Ich wehre mich erst ein bisschen, bevor ich mich schließlich auf eine Stuhlhälfte setzte, auf die andere Shunil hole. Wir quatschen und ich erfrage die Lebensumstände der Familie. Der Vater arbeitet als Bauarbeiter. Einer der zwei großen Brüder verdient bei einem Schreiner, der andere hat den erwähnten Laden. Der Vater und der kleine Bruder sind gerade auf dem Markt, kommen aber wohl noch. Ich schaue mir derweil die Umgebung an. Die Familie hat einen Fischteich, in dem aber nur ganz kleine Fische leben, die man - gebraten - von Kopf bis Flossen komplett in den Mund steckt. Hinter dem Haus ist die Latrine, eine bei der die Fäkalien in ein paar unterirdische Betonringe geleitet werden. Gespült wird mit einem kleinen Eimer. So liegen die Exkremente nicht offen herum. Leider eine eher seltene Konstruktion in den Dörfern, den Menschen fehlt zum einen Geld, um diese zu bauen, vor allem aber mangelt es an dem Bewusstsein, dass Hygiene wichtig für ihre Gesundheit ist. Darüber klärt BASTOB die Dorfbewohner auf.
Die Felder hinter dem Haus scheinen teilweise der Familie zu gehören. Ich verstehe nur so viel, dass es nicht viel ist. Wir trinken Tee, den die Mutter zubereitet. Wie fast alle verheirateten Frauen trägt sie den Sari, ein sechs Meter langes Tuch, das kunstvoll um den Körper gewickelt ist. Als Hindu hat sie an jedem Arm zwei Armreife, rot und weiß, und einen roten Punkt auf der Stirn sowie einen roten Strich am Ansatz des Mittelscheitels. Sie redet wenig mit mir, weicht meinen Fragen aus. Es sind ja zwei Männer anwesend, mit denen ich reden kann. Da ziemt es sich wohl nicht, direkt mit mir zu sprechen. Shunils kleine Schwester, sie ist etwa sieben Jahre alt - bei ihrer Geburt hat niemand auf den Kalender geschaut, wird mir erzählt - bringt Teekochutensilien und wäscht ohne Murren ab. Da gibt es keinen Streit um die Hausarbeit, und die scheint mir nicht gerade wenig. Sie ist immer noch sehr schüchtern. Sie huscht schnell wieder im Haus und wenn ich mich umdrehe, sehe ich sie hinter dem Türpfosten verschwinden. Sie lacht über meine langen Haare, wie so oft die Menschen hier. Ich lache mit. Es ist eigentlich sehr schön dort. Ich bin froh, dass ich mich entschlossen habe, die Einladung anzunehmen. Ich habe endlich einmal eine dieser Familien besucht, die ich sonst nur oberflächlich kennen lernen kann.
Irgendwann geht es wieder zurück, nicht ohne eine erneute Einladung. Es ist inzwischen sehr dunkel, gut, dass ich meine Taschenlampe mitgenommen habe. Über einen Stopp bei der Teebude bringt mich Shunil noch kurz auf den Basar. Ich war zwar schon oft zuvor in Dulahazara, habe aber den Eingang von der Hauptstrasse aus noch nie gesehen. Es geht eine Treppe hinunter. Dort wimmelt es von Menschen, Sachen, Gerüchen. Ob Fisch, getrocknet oder frisch, ob Schuhe und Sandalen, ob Reis, ob Gemüse oder dem Laden für alles, ob Schneider oder Teebude - es gibt irgendwie alles, gedrängt in kleinen Gassen, manche dunkel und matschig, manche beleuchtet und gepflastert. Shunil führt mich herum und ich merke schnell, dass es zu jedem Laden geht, an dem er jemanden kennt. Will wohl ein bisschen mit dem Ausländer angeben, denke ich mir. Er lacht nur als ich ihn später frage. Es macht mir nichts, immerhin habe ich den Basar gesehen. Für ihn ist es einfach ein unglaubliches Statussymbol, mit einem Ausländer an der Hand, an seinen Freunden und Bekannten vorbeizuspazieren.
Abends falle ich zufrieden in mein Bett und bin wieder einmal ein bisschen schlauer: Denke nicht, du weisst was auf dich zukommst, wenn du etwas in Bangladesch unternimmst. Es wird sicher anders, aber ganz bestimmt nicht schlechter.