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Ein strahlendes Exempel

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Darshana, eine Kleinstadt im Südwesten Bangladeschs. Etwa eine Stunde mit der Bahn von Jessore entfernt, wo das Hauptbüro meiner Partnerorganisation Jagorani Chakra Foundation liegt. Mit einem Kollegen, sein Name ist Mazed, bin ich hier her aufgebrochen, um Treffen von Frauengruppen zu besuchen. Das besondere dieser Frauengruppen: Sie haben sich vor sieben Jahren gebildet und wurden damals vom NETZ-Projekt "Ein Leben lang genug Reis" gefördert. Seitdem hat sich in ihrem Leben einiges geändert.

Vom Regionalbüro der Organisation fahren wir noch eine halbe Stunde über holprige und teilweise nicht befestigten Straßen mit dem Motorrad. Dabei weichen wir unzählige Male erst im letzten Moment den auf der Straße faulenzenden Kühen und Ziegen aus und werden von unberechenbar die Straße überquerenden Hühner überrascht, bis wir endlich in der abgelegenen Projektregion ankommen. Es ist Mitte Oktober und so drückend heiß, dass mir der Schweiß von der Stirn rinnt. Das Dorf ist eine Ansammlung von Wellblech-, Lehm- und Strohhütten. Überall laufen Tiere frei herum oder sind irgendwo angekettet. Es ist Vormittag, darum arbeiten gerade viele Menschen auf den umliegenden Feldern. So bildet sich nicht so schnell eine neugierige Menschenmenge, was sonst oft der Fall ist, wenn wir Dörfer besuchen.

In der Mitte der Siedlung ist ein kleiner Platz. Unter Bäumen sitzen zehn, vielleicht 15 Frauen auf dem Boden. Fast alle von ihnen galten als extrem arm, als sie vor sieben Jahren von NETZ und Jagorani Chakra Foundation ausgewählt wurden, um an dem Projekt teilzunehmen. Inzwischen konnten alle ihren Lebensstandard deutlich verbessern.

Wir stellen uns kurz vor und lassen uns erklären, was seit Beginn des Projektes alles passiert ist. Ich bin wahnsinnig beeindruckt von dem abgeklärten Auftreten, mit dem die Frauen von ihren Errungenschaften erzählen. Sie wirken sehr selbstsicher und stolz auf das Erreichte. Alle haben zu Projektbeginn eine Kuh, Hühner, ein Gemüsebeet oder Ähnliches bekommen. Inzwischen haben viele von ihnen ganze Ställe voll mit Tieren, besitzen eigenes Land, eigene Felder und eine Frau konnte es sich sogar leisten ein eigenes Backsteinhaus zu bauen.

Mir wird sehr schnell deutlich, dass der Zusammenhalt in der Gruppe essentiell für den gemeinsamen Erfolg ist. Zusammen gehen viele von ihnen auf den Markt, um sich dort nicht übers Ohr hauen zu lassen, wenn sie ihre Ernte oder ihr Vieh mit Profit verkaufen wollen. Gemeinsam sparen sie jede Woche ein paar Taka, um Aktionen in der Gruppe durchführen zu können und gemeinsam haben sie Proteste organisiert, als eine der Frauen von einem Mann im Dorf missbraucht wurde. Gemeinsam sind sie stark! Inzwischen ist ihre Gruppe so unabhängig, dass sie andere Frauen im Dorf unterstützen können, wenn es ihnen schlecht geht.

Mazed erklärt mir, dass seit Projektbeginn alle Frauengruppen eine oder zwei Vertreterinnen gewählt haben, die ihre Gruppe bei Treffen von Kommunalgruppen vertreten. Diese Kommunalvertretungen, insgesamt sind davon in dem Projekt 33 entstanden, bilden einen Überbau und überwachen die Tätigkeiten der Gruppen. Sie können einschreiten, wenn es in einer Gruppe Probleme gibt oder Unterstützung organisieren, wenn diese nötig ist. Sie verfügen über eigene finanzielle Mittel, die sie aus den Ersparnissen der Frauen und aus ihrem Profit erwirtschaften oder von dem Projekt zur Verfügung gestellt und sinnvoll investiert wurde. Hieraus haben sie zum Beispiel einen Risikofonds gebildet, mit dem Frauen in Notlagen unterstützt werden, beispielsweise wenn eine Frau ihr Vieh durch Krankheit verliert.

Begeistert von den selbstbewussten Frauen und den gerade gewonnenen Eindrücken, steige ich wieder auf das Motorrad. Das nächste Treffen steht schon an. Nicht irgendein Treffen, erklärt Mazed unterwegs. Die Kommunalgruppen haben nämlich ebenfalls Vertreterinnen gewählt, die sich wiederum zu einem Gremium zusammengeschlossen haben. Es wird als Föderation bezeichnet und bildet den Dachverband aller Frauengruppen.

Wir durchqueren einige der typisch ländlichen Dörfer und halten dann irgendwann vor einem kleinen Haus. Die Frauen haben uns schon kommen hören und überreichen uns zur Begrüßung zwei Blumensträuße. Innen gibt es keine Stühle oder Tische, wir setzen uns einfach zu den Frauen auf den mit Planen ausgelegten Lehmboden. Die Hitze staut sich unter dem Wellblechdach. Zum Glück lässt sie niemanden im Raum kalt und so werden schnell alle bedürftigen Personen mit Fächern versorgt. Ich bitte die Frauen mir zu erklären, was es denn eigentlich mit dieser Föderation auf sich hat. Die Vorsitzende erklärt mir, dass dieser Dachverband sehr wichtig für die Frauen ist, um irgendwann komplett unabhängig von Hilfe von außen sein zu können. Sie steuern inzwischen schon viele der Tätigkeiten, die von den Gruppen durchgeführt werden, stimmen darüber ab, wer neu aufgenommen werden sollte und organisieren Treffen mit Gruppen aus anderen Regionen. Auch verfügen sie über mehrere Einkommensquellen und können die Frauen so finanziell unterstützen. Sogar ein paar Angestellte, zum Beispiel für die Buchhaltung, können sie dadurch schon beschäftigen. Ihr Ziel sei es, so die Vorsitzende, irgendwann auch finanziell völlig unabhängig agieren zu können und so stark zu sein, dass sie anderen extrem armen Frauen dabei helfen können, sich aus ihrer misslichen Lage selbst zu befreien. So wie einst ihnen geholfen wurde.

Ihr ganzer Stolz ist aber das mehrstöckige Hauptgebäude, das sich gerade im Bau befindet. Wenn es fertig gestellt ist, soll es den Frauen als Bürogebäude dienen, Räume für Trainings und Meetings haben und als Lager für die Erzeugnisse der Gruppen dienen. Viel wichtiger wird aber der ideelle Wert des Gebäudes sein: so solide und imposant das Bauwerk sein wird, so solide und unverrückbar ist es, dass sich die Frauen dauerhaft der Armut entledigt haben.

Später erklärt Mazed mir, dass diese Frauengruppe hoffentlich schon bald ein strahlendes Exempel für Bangladesch sein wird. Derzeit läuft der Antrag, dass die Föderation als eigenständige Organisation anerkannt wird. Es wäre die erste Organisation, die sich aus extrem armen Frauen zusammengeschlossen hat. In Zukunft soll Jagorani Chakra Foundation dann nur noch beratend tätig sein, wenn Hilfe benötigt wird.

Ich bin überwältigt von dem was ich am heutigen Tag gesehen habe. Bisher hatte ich nur Projekte kennen gelernt, die noch in den Kinderschuhen stecken. Die Frauen wirkten oft hoffnungslos und verzweifelt (siehe Tagebucheintrag "Gefesselt an die Gegenwart). Es ist kaum zu glauben, wie viel sich in sieben Jahren ändern kann. Nicht nur was die ökonomische Situation der Frauen angeht. Besonders das selbstbewusste Auftreten, das Leben, das in ihren Worten steckt, der optimistische und motivierte Blick in die Zukunft haben mich zutiefst beeindruckt.

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