Ein steiniger Weg ins wahre Bangladesch
Malumghat ist ein verschlafenes Dorf im Südosten Bangladeschs. Dort ist das Büro von BASTOB, einer Partnerorganisation von NETZ, in der ich die nächsten zehn Monate mitarbeiten werde.
Lichte Laubwälder und sanfte Hügel umgeben Malumghat. Wenn man auf das Flachdach des BASTOB-Büros steigt, sieht man die Hill-Tracks, das höchste und meiner Meinung nach schönste Gebirge von Bangladesch. Ich muss zugeben, vorerst landschaftlich betrachtet, habe ich nur Glück gehabt hierher zu kommen.
Mein Weg in den Süden, meine erste Reise durch Bangladesch, war ein sehr seltsames, ja bizarres Erlebnis. Mit einem luxuriösen Reisebus, einem grüner Volvo mit Klimaanlage und Fernseher, geht es über teils gute, teils holprige Strassen. Mein Gefährt würde Deutschland alle Ehre machen, die Hindernisse auf der Strasse sind aber nicht zu vergleichen: Der Busfahrer kämpft sich an langsamen, urtümlichen Lastwagen und schrottreifen Bussen genauso wie an schicken Autos vorbei. Wo immer er eine Lücke zum Überholen vermutet, für mich ist sie manchmal nicht erkennbar, nutzt er sie aus. Und dabei wird nicht nur einmal eine Rikscha von der Strasse gehupt. Überhaupt ist die Hupe in unserem Bus eine echte Waffe in der Hand des Fahrers. Jede Kurve, jede Gerade, jeder langsame Lastwagen, jeder noch so schnelle PKW, jeder Fußgänger, jede Kuh und alle Rikschas werden angehupt.
Tüüt-tüüüt-tüüüüüüüüüüt. Das ist nicht angenehm und vor allem sehr Schlaf störend. Auch wenn es manchmal sogar sinnvoll ist, meistens jedoch finde ich es nutzlos. Ein langsamer Laster fährt einfach nicht schneller und von der Strasse springen kann er doch auch nicht. Dagegen finde ich es durchaus angemessen, sogar wünschenswert, in einer Kurve zu warnen, dass sich der Bus gerade auf der Gegenfahrbahn befindet und überholt.
Aus meinem Luxusgefährt heraus sehe ich Elend und Leid neben Vergnügen und Freude, in den Strassen dieses für mich so kontroversen Landes. Da sind im Abfall Wühlende, neben spielenden Kindern. Streitende oder lachende Gesichter sehe ich auf den Straßenmärkten. Eifrig diskutierende muslimische Männer stehen vor einer Moschee, daneben Reihen von Rikschafahrern, dicht gedrängt und auf Kundschaft wartend. Bei dieser Konkurrenz müssen sie wohl sehr lange warten, denke ich mir. Ich frage mich, ob sie wissen, wie sie am nächsten Tag noch ihre Familie ernähren. Einer von ihnen schaut verträumt und zufrieden in die Ferne, er wirkt auf mich, als sei er voller Hoffnung. Viele andere dagegen blicken vergrämt und lustlos auf den Boden. Zwischen ihnen suchen sich magere Kühe und freilaufende Hühner am Straßenrand, mitten in der Stadt, ihr Futter.
Auf meiner Reise sehe ich immer wieder Menschen, Häuser, Siedlungen und zwischendrin Reisfelder, Reisfelder, Reisfelder. Ich versuche zu schlafen, was bei dem dauernden Geruckel und Gehupe nicht so einfach ist. Außerdem habe ich Hunger. Da Fastenzeit ist, essen die Menschen im Bus nicht, ob sie nun Muslime sind oder nicht. Ich auch nicht, zumindest nicht vor ihnen. Einmal hält der Bus vor einer Moschee und die Männer gehen beten. Da vertilge ich schnell zwei Bananen, und einen Schluck Wasser gönne ich mir ab und zu.
Irgendwann schlafe ich doch ein und wache wieder auf, als wir in Chittagong, einer größeren Stadt sind. Unser Bus versucht eine einspurige Eisenbahnbrücke zu überqueren, gerade breit genug für ihn und einzelne Fußgänger. Die Sicht ist frei auf den Horizont und die Silhouette ferner Berge. Seit ich aus dem Flugzeug den Himalaja an mir vorbei ziehen sah, erblicke ich das erste Mal wieder eine richtige Erhebung in der Landschaft. Danach bin ich überrascht: ich sehe auch das erste Mal in Bangladesch einen richtigen Wald. Nicht nur ein paar Bäume, die zwischen Hütten stehen, sondern richtige kleine Laubwälder. Manchmal ist sogar eine kurze Strecke ganz ohne Menschen, ohne Siedlungen. Im Land mit der weltweit größten Bevölkerungsdichte ist das schon etwas Besonderes. Als sich allmählich die Dunkelheit über das Land legt, beginne ich mich zu wundern, ob der Busfahrer wohl vergessen hat in Malumghat anzuhalten. Der Bus soll nur für mich dort stoppen, das war so ausgemacht. Aber wir scheinen noch auf dem rechten Weg zu sein. Acht Stunden würde die Fahrt dauern, hat man mir gesagt. Fast dreizehn bin ich nun schon unterwegs. Zugegeben, ich bin etwas in Sorge.
Irgendwann halten wir an, Malumghat, endlich! Für dreihundertundfünfzig Kilometer habe ich länger gebraucht, als von Augsburg nach Dhaka. Doch nun bin ich hier, im für mich wahren Bangladesch.