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Ein Meister seines Faches

Jeder kennt das, wenn man denkt: "Das darf doch nicht wahr sein!" Man steht da und will, dass das, was gerade passiert ist, nicht passiert ist! Man denkt: "Warum passiert das gerade mir!" Man wünscht sich die Zeit zurückdrehen zu können - eine zweite Chance! Jedoch man kann es nicht! Schließlich denkt man nur noch: "Was für ein gallenbitterer Tag!"

Genau all dies zeigt sich im Gesicht des jungen Herren im türkisfarbenen Panjabi, als er im Gang des Buses von Netrokona nach Dhaka steht. Er steht etwas schwach da, die Hand auf eine Rückenlehne gestützt, und starrt ins Leere. Obwohl seinem Gesicht eine gewisse Blässe anzumerken ist, wirkt es doch charismatisch. Man sieht, dass er normalerweise ein sicheres Auftreten hat. Seine Augen wirken matt und blinzeln nicht, jedoch sind sie tief und bestimmt. Unter dem linken Auge hat er eine ungefähr vier Zentimeter lange Narbe. Die kurzen, sauber geschnittenen Haare und der ordentlich gestutzte Vollbart lassen ihn elegant und älter erscheinen. Ich schätze ihn auf Anfang dreißig.

Als einer vom Buspersonal ihn auffordert sich hinzusetzen, erwidert der Mann kein Wort, sondern greift nur langsam zu seinem Bauch. Aufregung schwappt durch den Bus.

Der Mann hebt seinen türkisfarbenen Panjabi leicht an. Auf Höhe des Bauches geht ein zwanzig Zentimter langer Schnitt durch den Stoff. Darunter befindet sich eine kleine rote Bauchtasche. Diese Art Taschen, die von Touristen gerne genutzt werden, um unter der Kleidung und damit direkt am Körper Wertsachen verstecken zu können. Diese kleine rote Tasche ist fein säuberlich mit einem Kreuzschnitt quer unter dem Reißverschluss geöffnet worden.

Der Mann lässt sich auf seinen Sitz fallen, sitzt einen Augenblick lang da, dreht sich um, schaut über seine Lehne nach hinten, dreht sich nach links, dreht sich nach rechts und setzt sich aufrecht hin, um dann wieder zurück in den Sessel zu rutschen.

Kurze Zeit später steigt der Mann im Panjabi aus dem Bus, um seinen Boss anzurufen und zu sagen, dass ihm dessen vierzig tausend Taka geklaut wurden. Vierzig tausend Taka sind umgerechnet rund fünfhundert Euro. Das entspricht in Bangladesch dem Jahresgehalt eines unteren Angestellten, eine Menge Geld.

Beeindruckend ist die Geschicklichkeit des Diebes. Der Mann im türkisfarbenen Panjabi ist groß und kräftig gebaut, hat wache Augen und eine gewisse Härte. Ein Mann also, der sich nicht so schnell beeindrucken oder einschüchtern lässt. Ein Mann also, dem man viel, sehr viel Geld anvertrauen kann. Der Dieb jedoch, der von dem Geld in der Tasche gewusst haben musste, stand direkt vor ihm, schnitt mit einer Rasierklinge seelenruhig erst den teuren Seidenpanjabi, dann die Bauchtasche auf - erleichterte ihn um mindestens achtzig Geldscheine und verschwand ohne irgendein Aufsehen. Ein Meister seines Faches.

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