Ein großes Geschenk, verpackt in vier Blechwände: Nichtstaatliche Grundschulen

Es ist ein milder Tag in Netrakona. Heute habe ich mir vorgenommen mit Tafazzal, meinem Kollegen und Projektkoordinatoren im Bereich Bildung, einige Grundschulen zu besuchen. Das heißt für mich zum ersten Mal auf dem Motorrad mitfahren. Sonst habe ich immer Frauen begleitet. Für die ist es unüblich Motorrad zu fahren und so waren wir immer mit der Rikscha unterwegs. Also nun zum ersten Mal motorisiert! Ich habe einen gesunden Respekt vor dem Gefährt, das in meinen Augen schon bessere Tage gesehen hat, aber beschwere mich nur kurz, als man mir sagt, ich bräuchte keinen Helm, wir würden ja nur ins Dorf fahren. Endlich wird doch noch ein Helm gebracht. Man belächelt mich, als ich mich für den Aufwand entschuldige.
Im Damensitz und mit einer Hand an meiner Tasche und der anderen am Griff hinten am Motorrad beginnt dann schließlich unsere wilde Fahrt. Schnell verliere ich die Angst runterzufallen, obwohl vor allem im Damensitz die Fahrt schon etwas Balance verlangt. In Gedanken freue ich mich nur noch über den Fahrtwind und die Stoßdämpfer und "verfluche" jede Rikscha, die mir ein ums andere Mal auf Teilen derselben holprigen Strecke wirklich Schmerzen zugefügt hat. Mir kommt es vor, als würden wir richtig rasen, was wahrscheinlich daran liegt, dass ich mich einfach schon lange nicht mehr schnell irgendwohin bewegt habe.
Zwischendurch bremsen wir nur, wenn uns mal ein Tempo, eine gasbetriebene Motor-Rikscha mit etwa sechs Sitzplätzen, entgegenkommt oder eine Entenfamilie seelenruhig die Straße überquert - klassischer Moment, in Bangladesch wie überall sonst.
Nach ungefähr einer halben Stunde erreichen wir Amtolla, ein Dorf, das ich sonst nur von den Schreien der Helfer der Bushaltestelle vor meinem Haus kenne. Wir werden anscheinend bereits erwartet. Ein Mann führt uns in das Dorf-Zentrum, eine Art Gemeindehaus. Nachdem ich mich vorstelle und man mich kurz informiert, dass Feli, die Freiwillige, die vor mir bei meiner Partnerorganisation Sabalamby war, noch immer in guter Erinnerung ist, gehen wir zur Grundschule.
Tafazzal besucht diese Schulen oft, um sich zu vergewissern, dass die Kinder mit dem Stoff vorwärtskommen, regelmäßig die Schule besuchen, die Lehrerin zurechtkommt - eben eine ziemlich umfassende und intensive Begleitung des Projektes.
Als wir das einfache Gebäude aus Blechwänden, die von einem Bambusgerüst gehalten sind, betreten, erschallt sofort ein lautes "Assalamu oalaikum!", die gängige muslimische Begrüßung hier. Jasmin Akther, die Lehrerin, und 28 Kinder schauen uns gespannt an. Zufrieden nehmen sie unser "Oalaikum Assalam!" als Antwort entgegen, lassen es sich aber nicht nehmen, noch ein "How are you?" extra für mich Ausländerin hinterher zu setzen. Ich sage, "Fine.", wie es sich gehört. Die Kinder setzen sich. Tafazzal ist für die Kinder schon bekannt, aber ich stelle mich noch kurz vor. Man ist begeistert, dass ich einige wenige Sätze Bengalisch hervorbringe.
Tafazzal fragt, ob heute alle Kinder in der Schule sind. Es fehlen zwei Schülerinnen, Panna und Ashamony. Die eine sei krank und die andere besuche Verwandte in Dhaka. Dennoch seien die Fehltage dieser Zweitklässler im Großen und Ganzen nicht auffällig, bemerkt mein Kollege beim Studieren des Klassenbuchs. Dann soll Jasmin, die Lehrerin, mit dem Unterricht weitermachen.
In diesen nichtstaatlichen Grundschulen werden fünf Schuljahre in vier Zeitjahren durchlaufen, was für die Kinder ganz schön viel Arbeit ist. An sechs Tagen die Woche lernen sie Bengalisch, Mathe, Englisch und Sachkunde. Bei der 2. Klasse, die ich heute besuche, wird in Sachkunde das Thema "Umwelt" behandelt und zurzeit die Jahreszeiten durchgenommen. Die Kinder lesen sich gegenseitig aus ihren Schulbüchern vor, wann es den meisten Regen gibt und wann bestimmte Blumen blühen.
Danach gibt es eine Bengalisch-Stunde. Am vorhergehenden Tag haben die Kinder etwas über einen bekannten, traditionellen bengalischen Sänger gelernt. Nun fragt Jasmin die 8- bis 10-jährigen, was sie noch behalten haben. Tatsächlich können die Kinder alles beantworten, von den Liedern, die er geschrieben hat, bis zu den Vor- und Nachnamen seiner Eltern. Zum Ende unseres Besuchs wird noch getanzt und man singt für uns ein Lied. Leider müssen wir weiter und noch eine Schule besuchen.
Wir fahren also wieder etwa eine halbe Stunde mit dem Motorrad durch Dörfer und zwischen Reisfeldern entlang. Dann kommen wir an der Phanchashy Grundschule an. Wir werden genauso herzlich begrüßt wie zuvor in Amtolla. Diesmal jedoch in einem Strohhaus, welches viele, große Löcher aufweist und so den zahlreichen Zaungästen, die es sich nehmen lassen wollen, die Ausländerin anzugucken, eine Chance bietet. Sie lenken die Kinder sichtlich ab. Die ziemlich junge Lehrerin, Sufia, scheint unsicher und etwas überfordert, je lauter die Kinder werden. Während diese eine Mathe-Aufgabe lösen, frage ich Sufia, wie alt sie ist und was sie gemacht hat, bevor sie Lehrerin wurde. Sie erzählt, dass sie 20 Jahre alt ist und direkt nach der Schule Lehrerin wurde.
Ich fotografiere die Zaungäste durch die löchrigen Wände. Die Mädchen draußen beginnen zu kichern, aber sonst von Scham keine Spur, man guckt weiter. Tafazzal erklärt auf mein Fragen, wer zuständig dafür sei, das Gebäude zu reparieren, dass Sabalamby das Gebäude nur gemietet habe und der Besitzer verantwortlich ist. Sufia fügt hinzu, dass dies schon im Laufe der nächsten Woche geschehen soll.
Der Unterricht geht weiter und Tafazzal korrigiert Sufia währenddessen oft und gibt ihr Tipps, wie sie Unterrichtsinhalte einprägsamer übermitteln kann. Sie blickt schüchtern zu Boden, es ist ihr offensichtlich peinlich. Dennoch ist Tafazzal zufrieden, als wir diese Schule schließlich auch verlassen müssen. Selbst wenn Sufia vielleicht noch nicht die beste Lehrerin ist, ist es immer noch die einzige Bildung, die die Kinder hier erhalten können.
Hier liegt eine große Kontroverse in der Entwicklungszusammenarbeit. Was ist besser: Lieber so vielen Kindern wie möglich den Zugang zu Bildung verschaffen oder einigen wenigen qualitativ hochwertigere Bildung vermitteln?
Die Meinungen hierzu gehen weit auseinander und bestimmt ist keine der Weisheit letzter Schluss. Ich glaube aber, dass die Lernerfolge der Kinder und ihr Spaß daran, den Programmkoordinatoren von Sabalamby Recht geben: Kinder wollen lernen. Ob dann die eine oder andere Englischvokabel falsch geschrieben wird, ist in dem Moment relativ egal. Natürlich bemüht man sich, diese Fehler mit der Zeit zu beheben, aber sie erscheinen mir wie Nichtigkeiten, wenn man daneben das absolute Fehlen von Bildung in anderen Teilen dieses Landes betrachtet.