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Ein großer Erfolg

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Es ist kühl. Noch vor zwei Wochen konnte ich mir gar nicht richtig vorstellen, dass es hier in Bangladesch mal kalt werden würde. Aber jetzt bin ich in Saidpur, im Norden Bangladeschs angekommen. Es ist acht Uhr morgens, ein kühler Windhauch frischer Luft (wie hatte ich die vermisst) weht mir ins Gesicht. Ich überquere die Hauptstraße, auf der um diese Zeit noch nicht allzu viel los ist. Im Gegensatz zu Dhaka wirkt Saidpur ein wenig verschlafen. Mit drei Kollegen von Research Initiatives Bangladesh (RIB), der NETZ-Partnerorganisation, in der ich mitarbeite, treffe ich mich in einem "Hotel". So werden hier die Essensstuben genannt, in denen man zu jeder Tageszeit etwas bekommt: Reis, Ei, Hühnchen, Rindfleisch, Ruti (eine Art Teigfladen) oder Mishti (Süßigkeiten). Ich bestelle Parota (eine Art Fladenbrot, mit viel Öl in der Pfanne gebacken) und Dim (Ei). Danach noch einen Cha (Schwarzer Tee mit viel Zucker und Milch). Zehn Minuten später sitzen wir in einer Motor-Rickscha - ein allgegenwärtiges Verkehrsmittel hier - welche uns in ein kleines Dorf bringen soll, in der eine von NETZ und RIB geförderte Menschenrechtsgruppe aktiv ist. Wir fahren zuerst auf der Hauptstraße, vorbei an endlosen Reisfeldern und einigen Bananenplantagen. Immer wieder müssen wir den großen Überlandbussen ausweichen oder den zahlreichen Kühen und Ziegen, die am Straßenrand grasen. Nach etwa 45 Minuten biegen wir ab. Nun geht es auf kleinen Wegen entlang, welche sich von Dorf zu Dorf schlängeln. Autos sehe ich hier keine mehr, dafür gibt es umso mehr Tiere die es sich auf dem Weg bequem gemacht haben. Kinder spielen am Rand, Waren wie Bambusrohre oder Chipstüten werden von verschiedenen Fahrzeugen von einer Stelle zur nächsten befördert.

Eine halbe Stunde später sind wir im Dorf angekommen. Schon am Eingang werden wir herzlich in Empfang genommen und auf den Dorfplatz geführt. Dort liegen Matten, gefertigt aus alten Reissäcken, ausgebreitet auf den Boden. Immer mehr Menschen kommen hinzu, insbesondere Frauen, da diese Gruppe eine reine Frauengruppe ist. Viele bringen ihre Kinder mit. So haben sich bald etwa 30 Frauen und Kinder in einem großen Kreis versammelt. Drumherum stehen einige Männer, die das Geschehen interessiert beobachten. Bevor das Treffen beginnt, soll sich jeder mit seinen Namen vorstellen. Auch ich kann inzwischen einige Einzelheiten zu meiner Person auf Bengalisch sagen und freue mich jedes Mal, wenn diese auch verstanden werden. Schon gleich nach der Vorstellungsrunde beginnt eine rege Diskussion. Leider reichen meine Sprachkenntnisse nun doch nicht so weit, um diese verfolgen zu können. Zum Glück kann meine Kollegin Englisch, sodass sie mir zwischendrin immer eine kleine Zusammenfassung des Gesagten liefert. Die Frauen berichten uns von einem großen Erfolg, den sie mit ihrer Gruppe erreicht haben: Sie haben eine Frühehe verhindert. In Bangladesch sind Ehen von Personen unter 18 Jahren verboten, in einigen Teilen des Landes sind Frühehen dennoch verbreitet. Die Gruppe hatte mit den Beteiligten gesprochen und den Bürgermeister konsultiert. So fand schlussendlich doch ein Umdenken statt und die Ehe konnte verhindert werden. Ich möchte von den Frauen wissen, was die aktuellen Herausforderungen sind, mit denen sie sich beschäftigen. Sie berichten, dass sie sich viel damit auseinandersetzen, Sozialleistungen einzufordern, die einigen Frauen aus der Gruppe oder dem Dorf zustehen, beispielsweise eine Witwenrente. Oft bleibt das Geld in höheren Etagen "stecken" und kommt nicht bei den Menschen an. Ich habe auch schon von anderen Gruppen gehört, die zum Bürgermeister gegangen waren, um ihre Leistungen einzufordern, aber mit den Worten "Hindus bekommen das nicht" weggeschickt worden seien. Für extrem arme Menschen und Angehörige indigener oder religiöser Minderheiten ist es sehr schwer, diese Leistungen beziehen zu können, da ihnen das Recht darauf oft verwehrt wird.

Nun wollen die Frauen von mir wissen, wie es mit der Menschenrechtssituation in Deutschland aussieht. Puh, ich muss schlucken und überlege. Menschenrechte sind in der Verfassung festgeschrieben. Probleme bei der Umsetzung? Ich blicke in die Gesichter der Frauen, denke an das, was sie mir gerade erzählt haben und an die ganzen anderen Geschichten über Menschenrechtsverletzungen in Bangladesch, von denen ich gehört oder gelesen habe. Probleme in Deutschland verschwinden aus meinem Kopf. Frühehen sind verboten, man kann auch Rente oder Arbeitslosengeld beantragen. Es gibt eine funktionierende Krankenkasse. Und sonst? Ich überlege weiter. Doch. Auch in Deutschland gibt es Probleme. Frauen und Männer sind nach dem Gesetz gleich, doch manchmal hapert es mit der Umsetzung. Ich berichte, dass Frauen bei der Ausübung des gleichen Jobs an manchen Orten immer noch weniger verdienen als Männer. Auch in den Führungsebenen von Unternehmen sind nur wenige Frauen zu finden - beides Themen, mit denen sich die deutsche Politik viel beschäftigt, aber meist zu keiner gänzlich zufriedenstellenden Lösung kommt. Die Frauen aus der Gruppe nicken mir zustimmend zu. Ja, sagen sie. Das ist ein Problem. Zum Abschluss gibt es noch Pita, einen bangladeschischen Reiskuchen mit unterschiedlichen Dingen wie Kokosnussraspeln gefüllt. Der Tee dazu darf natürlich nicht fehlen. Nach einer Stunde machen wir uns auf den Weg in das nächste Dorf. Für heute stehen noch drei weitere Besuche an. Ich blicke wieder über das endlose Grün und denke daran, was die Frauen erzählt haben. Wie mutig und motiviert sie sind, ihre Probleme in die Hand zu nehmen. Welche Erfolge sie erzielt haben und wieviel Kraft und weitere Motivation sie aus diesen Ergebnissen schöpfen.

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