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Ein Freitag in Nashratpur

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Es ist Freitag in Bangladesch. Der Freitag hier entspricht dem Sonntag in Deutschland. Das heißt, fast alle Leute haben frei und verbringen den Tag mit ihrer Familie. Die Jungen und Männer gehen am Nachmittag zum Freitagsgebet in die Moschee. Auch für mich als Freiwillige ist dies der einzige freie Tag in der Woche. Ich stehe trotzdem schon um 7 Uhr auf, denn im Laufe der Woche habe ich meist wenig Zeit zum Sport machen, Wäsche waschen und Zimmer aufräumen. Bis 15 Uhr habe ich noch Zeit, dann werde ich von Hiru Mia, dem Büroassistenten abgeholt und zu seinem Haus im Dorf mitgenommen, denn heute bin ich bei ihm zum Milchreis essen und zu Hijra, dem islamischen Neujahrsfest, eingeladen.

Vorher muss ich mich jedoch noch dem Haushalt widmen. Waschmaschinen sind in Bangladesch nur bei sehr reichen Familien zu finden. Die meisten Menschen waschen mit der Hand oder bezahlen andere, um ihre Wäsche zu waschen, zu trocknen und zu bügeln. In meinem Zimmer, welches sich auf dem Gelände meiner Organisation befindet, bin ich für das Waschen selbst zuständig und habe dafür einen großen Plastik-Eimer im Badezimmer. Von Anfang an hat mir das eigentlich Spaß gemacht, komme ich in Bangladesch doch nur selten dazu, mich körperlich zu betätigen, sei es wegen der Hitze oder der Höflichkeit der Menschen einem immerzu einen Stuhl oder eine Rikscha-Fahrt für die kürzesten Strecken anzubieten. Im Prinzip ist es auch kein großer Aufwand, ab und zu koche ich dazu Wasser oder Wasche die Wäsche mit kaltem Wasser und Waschpulver durch. Danach geht es dann hoch aufs Dach, wo, wie in Bangladesch typisch, Wäscheleinen aufgespannt sind, auf denen die Wäsche in der Sonne trocknen kann. So ist sie meistens schon einige Stunden später trocken, wenn das Wetter mitspielt.

Das bengalische Essen ist sehr lecker und besteht zumeist aus Reis, Fisch oder Fleisch, Gemüse, Ei und frischen Chilis. Im Gegensatz zu deutschem Essen werden hier viele Lebensmittel wie Gemüse oft in Öl frittiert. Das macht es natürlich noch leckerer, jedoch ist mir das nach einiger Zeit sehr auf die Hüften geschlagen. Deswegen versuche ich möglichst oft in meinem Zimmer verschiedene Sportübungen zu machen, um mich etwas fit zu halten. Auf dem Land ist Freizeitsport wie Joggen nicht verbreitet und gerade als Frau eher unmöglich - zudem ist es tagsüber auch meist sonnig und heiß. In meinem Zimmer unter dem Ventilator versuche ich mich also täglich fit zu halten. Dann geht es unter die Dusche. Anders als in Deutschland gibt es hier in meinem Zimmer nur zu Mittagszeit warmes Wasser, wenn die Sonne den Tank auf dem Dach aufgewärmt hat. Morgens gibt es also erstmal eine kalte Dusche. Das Wasser kommt in meinem Bad nicht aus der Wand oder Decke, sondern ich benutze wieder meinen Wäscheeimer und einen kleinen Eimer, um mich mit Wasser zu übergießen. Wenn es im Winter kälter wird, habe ich auch die Möglichkeit im Wasserkocher etwas Wasser aufzukochen und mir so eine warme Dusche zu gönnen.

Nach dem Duschen schlüpfe ich in das typische bengalische Frauenkleidungsstück - den Shalwar Kamiz. Dieser besteht zumeist aus einer weiten knielangen Bluse, einer weiten Hose und einem Schal, den man sich über die Schultern legt. Die Devise in Bangladesch für den Shalwar Kamiz lautet: je farbenfroher desto besser. Und so sieht man jeden Tag aus wunderschönen bunten Stoffen gefertigte Shalwar Kamiz oder auch Saris bei den Bengalinnen. So stehe auch ich jeden Morgen vor der Qual der Wahl, mir einen schönen Shalwar Kamiz für den Tag auszusuchen. Dazu passend trage auch ich einen Tip - einen bunten Punkt zwischen den Augenbrauen, dessen Farbe auf mein Outfit abgestimmt ist. Da heute ein islamisches Fest stattfindet, achte ich noch ein Wenig mehr darauf, schön auszusehen. Schnell besorge ich mir noch irgendwo einen Besen, fege mein Zimmer und räume ein wenig auf, damit ich nicht so chaotisch in die nächste Woche einsteige - Samstag ist ja schon wieder der erste Arbeitstag der kommenden Woche. Der typische bengalische Besen ähnelt dem Hexenbesen, den wir aus unserer Kindheit kennen: Ein Holzstab und am Ende festgezurrter Reisig. Und das Fegen mit diesem Besen klappt sogar besser, als mit dem bekannten eckigen Besen aus Deutschland.

Dann ist es 14 Uhr und ich setze mich noch einmal schnell aufs Bett und schaue ein paar Vokabeln nach, die ich heute vielleicht gebrauchen kann, da in Hirus Familie niemand Englisch spricht. Die Familie wohnt nur 300 Meter von meinem Büro entfernt. Ihr Haus liegt direkt am eigenen Reisfeld und Fischteich. Neben dem Haus stehen die zwei Kühe der Familie. Durch den Hof laufen immer mal wieder einige Hühner. Die kleinen Häuser der Familie sind aus stabilem Wellblech gebaut. Das Innere ist ein großer Raum mit zwei Doppelbetten, außerdem einigen Schränke und anderen alltäglichen Utensilien - sogar einem Fernseher, auf den die Familie lange gespart hat. Gekocht wird vor der Tür auf dem offenen Feuer in großen Metalltöpfen unter einem Dach. An der anderen Seite befindet sich ein kleines Häuschen mit Klo. Daneben die Wasserpumpe, die von Wänden umschlossen und der Familie zum Waschen dient. In den zwei Häusern der Familie wohnt Hiru mit seiner Frau und seinen drei Töchtern. Eine Tochter ist schon verheirate. Sie und ihr Mann wohnen in einem der beiden Häuser. Sie haben auch schon einen sehr süßen, sieben Monate alten Sohn. In Bangladesch ist der Familienzusammenhalt sehr wichtig. Jeder in der Familie passt auf das Baby auf, hilft beim Kochen, Waschen, Fischen. Nach dem Hiru und ich am Haus angekommen sind, wird mir ein Stuhl im Hof angeboten und schon kommen auch ein paar von den Nachbarn vorbei und fragen mich die typischen Frage: Apnar nam ki? Apnar desh? Apnar biye hoechen? Wie heißen Sie? Aus welchem Land kommen Sie? Sind sie verheiratet? Natürlich kann es etwas anstrengend sein, diese Fragen jeden Tag mehrmals zu beantworten, aber im Prinzip freut mich das Interesse der Bengalen. Dann bringt Shumona mir eine Schale mit Milchreis - hier heißt er Paesh. Der Reis wird in Milch gekocht oder nach dem Kochen mit Milch vermischt und es werden noch verschiedene Gewürze wie Zimt und Kardamom sowie Zucker hinzugefügt. Da kommen schon ein wenig Heimatgefühle auf, da meine Mutter zuhause auch leckeren Milchreis macht. Ich bin die einzige, die isst und manchmal fühle ich mich schlecht, wenn mir alle beim Essen zuschauen. Snigdha, unsere Bengalisch-Lehrerin aus Dhaka, hatte uns gesagt, dass es Teil der bengalischen Kultur ist, dass die Gäste essen und später der Gastgeber. Nach der ersten Schale wird mir sogar noch eine zweite gebracht, eine dritte lehne ich dankend ab.

Anschließend mache ich noch Fotos von der ganzen Gruppe und einzelnen Kindern. Dann machen ich und einige der Kinder uns zu einem Spaziergang durch die Reisfelder und das Dorf auf. Hier und da grüßen wir mit "Salaam" und klettern auf einige Hügel und genießen den Ausblick. Zurück am Haus schminken mich Shumona und ihre große Schwester noch für das Fest. In Bangladesch schminken sich die meisten Mädchen und Frauen viel stärker, als wir es in Deutschland gewohnt sind. Ich habe danach rote Lippen, blau-grüne Augenlieder und meine Augen sind schwarz umrandet. Auch wenn ich mich in Deutschland so nie auf die Straße wagen würde, ist mir das erstmal egal, da die beiden sich so freuen, dass sie mich schön gemacht haben. Dann machen wir uns schon auf den Weg zum Fest, welches nur 100 Meter entfernt ist. Dort sitzen schon einige auf einer Bühne und halten Reden und davor sitzen viele Männer und ihre Söhne und hören zu. Rund um das Zelt, in dem alle sitzen, werden Süßigkeiten verkauft. Dort kaufen wir uns süßes Popcorn und da ich nicht viel verstehe und dort auch sehr viele Leute sind, die mich anstarren, merken die anderen schnell, dass ich mich dort nicht so wohl fühle.

Also gehen wir noch zu einem kleinen Laden und ich kaufe einige Kokos-Eis für mich und die Kinder und wir gehen zum Haus zurück. Dort kommen noch einige Besucher vorbei und wir schauen gemeinsam eine beliebte Dailysoap. Dann gibt es auch noch Abendessen, was ich gemütlich sitzend auf dem Bett mit Shumona und ihrer Schwester Resmi esse. Es gibt Fisch, Gemüse und Reis. Alles aus der eigenen Produktion - so frische Zutaten in Deutschland zu bekommen, ist eigentlich fast unmöglich. Nach dem Essen gibt es noch eine Tasse Tee. Nun ist es auch schon 21 Uhr und ich werde langsam müde. Das Fest geht eigentlich noch bis Mitternacht, aber da ich morgen wieder arbeiten muss und mein Bengalisch noch nicht gut genug ist, um den Imam zu verstehen, rufe ich Hiru an, der schon wieder im Büro ist und er holt mich kurze Zeit später ab. Der Weg dauert zwar nur drei Minuten und ich wäre auch allein gegangen, aber hier sind alle sehr auf mein Wohlbefinden bedacht.

Müde lege ich mich danach aufs Bett und stelle fest, dass den ganzen Tag Bengalisch sprechen müde macht, aber ich den Tag doch ganz gut gemeistert habe. Auf meiner Kamera sind außerdem wunderschöne Bilder vom Reisfeld, den Dorfbewohnern und den Kindern, mit denen ich durch die Gegend gestreift bin. Und so geht mein freier Tag in Nashratpur auch schon wieder zu Ende.

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