Diese bestimmte Person
Von oben sieht Bangladesch noch viel schöner aus, als ich es mir vorgestellt habe. Die ganze Welt wirkt wie eine große Leinwand, auf der die gewaltigsten Flüße zu zarten Pinselstrichen werden, die sich durch alle erdenklichen Grüntöne ziehen.
Wenn man aber die Leinwand „betritt“, um das ganze Bild genauer zu betrachten, sieht man nicht nur schöne Dinge: dreckige Straßen, Kinder die in riesigen Müllbergen spielen, verkrüppelte Bettler, hungernde Mütter. Egal wohin man geht – immer wird einem die Armut dieses Landes direkt vor Augen geführt. Man gewöhnt sich an vieles hier so schnell, aber es gibt doch immer wieder diesen bestimmten Moment oder diese bestimmte Person, die einem zum Nachdenken bringt.
Während ich mich im Wohnzimmer mit den anderen Freiwilligen über diese Eindrücke unterhalte, höre ich, wie mein Name gerufen wird. Es sind die Mädchen aus der Textilfabrik direkt neben unserem Guesthouse in Dhaka mit denen ich mich angefreundet habe. Auch wenn ich nach nur knapp drei Wochen in diesem farbenfrohen Land erst ein paar wenige Wörter und Sätze sagen kann, gibt es doch eine gemeinsame „Sprache“ zwischen uns. Es erstaunt mich immer wieder, wie viel ein einfaches Lächeln bewirken kann. Über die Fenster, die nur wenige Zentimeter voneinander entfernt sind, tauschen wir immer wieder kleine Geschenke, Bilder und Briefe aus.
Heute wurde ich von einem dieser Mädchen eingeladen, mit ihr nach Hause zu kommen. Ihr Name ist Ninupa. Sie ist gerade mal 14 Jahre alt, hat noch nie eine Schule besucht und arbeitet fast jeden Tag, manchmal auch die ganze Nacht, um ihre Eltern und fünf Geschwister zu unterstützen. Mit ihnen teilt sie sich einen kleinen, einfach ausgestatteten, dunklen Raum in einem nahe gelegenen Slum.
Während ich auf dem Bett sitze, das fast den gesammten Raum einnimmt und dieser sich auch immer mehr mit Familienangehörigen und neugierigen Nachbarn füllt, erzählt sie mir von ihren Träumen und Wünschen. Mir ist klar, dass sie diese wahrscheinlich nie verwirklichen wird können. Aber wenn man in ihre Augen schaut und sich von ihrem Lächeln verzaubern lässt, glaubt man ihr fast alles. Diese bestimmte Person, die einem zum Nachdenken bringt: heute war es Ninupa.