"Dhaka ist alles"
Dhaka ist alles: Hupen und Klingeln, bunt bemalte Rikschas und grüne, dreirädrige Motorradtaxis, farbenfrohe Gewänder der Frauen, Staub und Dreck, wackelige Teebuden genauso wie "tiefgekühlte" Riesensupermärkte. Es ist voller Slums und einem solch noblen "Pizza.Hut", wie ich in Deutschland noch keinen gesehen habe. Gegenüber vom Planetarium, einem schicken, verglasten Gebäude, vor dem Männer mit Gewehren patrouillieren, warten Bettler. Jemand hat ein Kind mit einem Wasserkopf auf die Straße gesetzt, damit es Mitleid erregt. Vor allem aber gibt es in dieser Stadt eines: Menschen. Und zwar 14 Millionen, die alle jeden Tag aufs Neue überleben wollen.
Ich bin jetzt seit einer Woche hier und es kommt mir vor wie eine Ewigkeit, weil ich schon so viel erlebt habe. Wir, die anderen vier Freiwilligen und ich, sind in einem Guesthouse untergebracht, das ich als unsere Erholungsoase betrachte. Weil ich die einzige Frau bin, habe ich sogar ein Zimmer für mich, was ich sehr genieße. Man wird in Dhaka als Ausländerin angestarrt, aber daran habe ich mich schon fast gewöhnt. Die Menschen behandeln mich sehr respektvoll und freundlich, ich kann tagsüber alleine herumlaufen und habe - auch wenn Männer das Straßenbild dominieren - nicht das Gefühl, als Frau schlechter behandelt zu werden, als die männlichen Freiwilligen. Das Klima ist angenehm, am Anfang war es noch sehr warm, aber man hält sich nie in der Sonne auf und jetzt regnet es sogar so viel, dass wir den Ventilator nicht mehr brauchen, um uns Kühlung zu verschaffen.
Religion spielt eine wichtige Rolle in Bangladesch. Am Sonntagabend erlebte ich "Prabarana Purnima", ein wunderschönes buddhistisches Fest. Es ist das Ende der dreimonatigen Zurückgezogenheit, in der die Mönche Buße tun. Als wir das Klostergelände betreten, gehen wir zuerst an einem großen Teich vorbei, auf dem ein buddhistisches Kloster aus weißem Papier erbaut wurde. Von innen ist es durch Lichter beleuchtet und strahlt bis ans Ufer. Wir drängen uns durch die Menschenmassen, die fröhlich klatschen, lachen und zum Himmel schauen, werden über die Abzäunung dirigiert und stehen nun auf einem kleinen Feld.
Es ist heiß. Feuer brennen und dann passiert etwas Wunderbares: Die Mönche und Helfer zünden mit Fackeln und Holzscheiten die petroleumgetränkten Stoffballen unter den großen Papierballons an. Alles flackert im Feuerschein, die Gesichter und Arme der Männer glitzern vom Schweiß. Unter begeisterten Zurufen der Zuschauer entlassen die Buddhisten und helfenden Muslime einen Ballon in den Himmel und er wird immer kleiner, bis er von den Sternen kaum mehr zu unterscheiden ist. Bald darauf ist der ganze Himmel übersät von Ballons. Jedes Mal aufs Neue bekomme ich eine Gänsehaut, wenn ein Ballon vom Boden abhebt. Die Atmosphäre ist unglaublich. Zum Schluss bekomme ich eine kleine Laterne geschenkt, die jetzt in meinem Zimmer hängt. Im Tagebuch von Heiko, einem ehemaligen Freiwilligen, habe ich gelesen, dass die Ballons die Haare Buddhas symbolisieren, die er sich damals, im Angesicht des Todes abgeschnitten hat und mit den Worten fallen ließ: "Wie mein Haar jetzt zu Boden gleitet, wird meine Seele meinen toten Körper verlassen und hinauf ins Nirvana schweben."
Das Leben in Dhaka ist zurzeit stark geprägt vom Fastenmonat Ramadan. Im "Daily Star", der größten Tageszeitung, gibt es Beilagen zum Thema: "Richtig essen während Ramadan" oder "Die besten Iftar-Restaurants Dhakas". Iftar ist das Essen, das bei Sonnenuntergang, so gegen halb sechs, gegessen wird. Viele Muslime fasten aber auch gar nicht, sie treffen sich dann in Teebuden, respektvoll hinter heruntergelassenen Planen. Schallt dann der Ruf des Muezzins durch alle Lautsprecher, stürzen sich die Gläubigen sofort auf das Essen und Trinken. Ich kann mir kaum vorstellen, wie ein Rikscha-Fahrer es aushalten soll, den ganzen Tag ohne Trinken zu arbeiten. Das Spektakel hat aber jeden Abend aufs Neue etwas Feierliches und es entsteht, so finde ich, ein großes Gemeinschaftsgefühl.