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Der Tod im Teefeld

Die Busfahrt von Dhaka nach Srimangal dauerte nur etwa vier Stunden. Glücklicherweise war in der Nähe der Bushaltestelle eine Teebude, die auch um halb vier nachts noch geöffnet hatte. Etwas verschlafen luden wir unser Gepäck dort ab, tranken einen Tee und beschlossen, dass ein Teil der Gruppe ein geeignetes Hotel suchen sollte, während die anderen auf das Gepäck aufpassten. Ich blieb mit in der Teebude, die im Übrigen recht gut besucht war, unter anderem von einer Einheit des "Rapid Action Bataillons". Nach knapp zwei Stunden war ein vernünftiges Hotel gefunden, so dass wir uns im Morgengrauen noch für ein paar Stunden schlafen legen konnten.

Mittags standen wir auf und nachdem wir in einem kleinen Restaurant etwas gegessen hatten, fuhren wir auf vier Rikschas verteilt aus der Stadt hinaus durch die herrlichen Teeplantagen. Bangladesch ist in weiten Teilen ein flaches Land, doch die Region um Srimangal ist hügelig. Soweit das Auge reicht sahen wir saftig grüne, etwa 80 Zentimeter hohe Teesträucher. Dazwischen waren in regelmäßigen Abständen größere Bäume gepflanzt. Die Sonne strahlte wärmend vom Himmel und wir genossen die malerische Landschaft und die uns schon so fremd gewordene Ruhe.

Unterwegs folgten wir einem Hinweis unseres Reiseführers und fuhren zum "Bangladesh Tea Research Institute". Es ist das einzige seiner Art in Bangladesch. Dem Institut ist ein Gästehaus angegliedert, in das sich auch Privatpersonen einmieten können. Wir hatten Glück und bekamen auf Anfrage zwei Räume mit jeweils zwei Betten zur Verfügung gestellt. Zwar waren die Betten nur für eine Person ausgelegt, aber das störte uns wenig. Ich teilte ein Bett mit Bela, und wir konnten beide ganz gut schlafen, obwohl wir uns auch ein Kissen und eine Decke teilen mussten. Am frühen Abend verließen wir das Hotel in Srimangal und brachten unser Gepäck in die neue Unterkunft.

Nur etwa 200 Meter vom Gästehaus entfernt, das mitten in den Teeplantagen liegt, fließt ein Fluss mit einer ausgedehnten Sandbank. Dort wollten wir an einem Lagerfeuer Silvester feiern. Doch als uns das Personal eindringlich davor warnte, dass diese Gegend nachts nicht sicher sei, verzichteten wir darauf. Wir spielten fast den ganzen Abend Karten und entspannten uns auf der ausgedehnten Terrasse des Gästehauses. Eine gute halbe Stunde vor dem Jahreswechsel zündeten wir hinter dem Haus ein Lagerfeuer aus Bambushölzern an. Um Mitternacht stießen wir mit Bier, Wein und Whiskey auf das neue Jahr an. In Deutschland brauchte es noch fünf weitere Stunden bis zum Jahreswechsel. Mit Bleigießen - Florians Eltern hatten ein entsprechendes Set geschickt - und langen Gesprächen über unsere Pläne und Vorsätze für das neue Jahr 2005 schlossen wir den Abend ab und legten uns gegen 3 Uhr nachts ins Bett.

Am 1. Januar bekamen wir ein herrliches Frühstück mit frischer Ananas, geröstetem Toast, Marmelade und Butter. Für mich war es das erste Mal seit knapp drei Monaten, dass ich wieder richtige Butter aß - ein Hochgenuss! Doch uns blieb kaum Zeit, das Frühstück zu genießen. Kaum hatten wir zu Essen begonnen, erzählte uns der Koch, dass in der Silvesternacht jemand unfern des Gästehauses umgebracht worden war. Zunächst verstanden wir gar nicht, was er uns sagen wollte. Aber offenbar war jemand an einem Baum in der Teeplantage aufgehängt worden. Das allein war schon schaurig genug. Dann aber bedeutete er uns, ihm zu folgen. Urs und ich gingen mit, während die anderen weiter frühstückten. Wir gingen zum Tor hinaus und die Straße hinunter in Richtung Srimangal. In geringer Entfernung sahen wir schon zahlreiche Menschen am Straßenrand stehen, die auf die Teeplantage blickten. Diese war noch Nebel verhangen, und obwohl die Sonne schon ihre ersten warmen Strahlen auf die Erde sandte, war es noch immer ziemlich kalt. Als wir die Menschenansammlung erreichten, traute ich meinen Augen nicht. Keine dreißig Meter entfernt, an einem der größeren Bäume in der Teeplantage, hing tatsächlich eine Leiche. Der junge Mann war ganz in schwarz gekleidet und sein Kopf hing seitlich geneigt hinunter. Es schien, als ob er nicht aufgehängt, sondern angebunden war. Es war ein schauriger Anblick. Wir kehrten zurück und erzählten den anderen davon. Auch sie wollten nun selber sehen, was dort in der Nacht geschehen war und so gingen wir alle zusammen noch einmal dorthin. Auf dem Rückweg war die Stimmung merklich gedrückt und jeder war froh, dem Hinweis des Personals vom Vorabend gefolgt zu sein, und nicht am Fluss Silvester gefeiert zu haben. Dieser lag nämlich noch näher am Tatort als unser Gästehaus, das nur etwa 150 Meter davon entfernt liegt.

Natürlich wollten wir wissen, was in der Nacht passiert war. Uns wurde erzählt, der Mann sei von Kriminellen ermordet worden. Ab und zu wurde auch gemunkelt, dass "Banglabhai" ("Bruder der Bengalen") zugeschlagen haben könnte, ein berüchtigter Mann, der seine Opfer meist an Bäume fesselt und ihnen den Bauch aufschlitzt. Dieses Gerücht bewahrheitete sich allerdings nicht, es wäre bestimmt in den großen nationalen Zeitungen gemeldet worden. Weil die Lokalzeitung nur wöchentlich erscheint, erfuhren wir nichts Genaues über die Todesumstände des jungen Mannes. Allerdings hatte die schöne Landschaft nun vieles von ihrer Romantik verloren. Am frühen Nachmittag dieses Tages erschien dann plötzlich ein fein gekleideter Herr auf einem Fahrrad und verwickelte uns in ein Gespräch. Vieles drehte sich nur um belanglose Dinge, aber er kam auch auf die Leiche in der Teeplantage zu sprechen. Ich habe nur wenig von dem Gespräch mitbekommen, aber wir konnten uns alle nicht des Eindrucks erwehren, dass dieser Mann wohl einen detektivischen Auftrag hatte, zumal er auch mit dem Personal des Gästehauses sprach, bevor er wieder davon radelte.

Insgesamt war dieser 1. Januar auf jeden Fall der skurrilste, den ich je erlebt habe, und ich werde bestimmt noch auf manch einer Silvesterfeier an die Ereignisse dieses Tages zurückdenken.

Wir blieben noch zwei Tage dort, wanderten durch die Teeplantagen, liehen uns Fahrräder aus und genossen die herrliche Ruhe und das gute Essen, das uns serviert wurde. Abgesehen von der Leiche in der Teeplantage waren es drei schöne Tage, die wir alle sehr genossen haben. Am 3. Januar fuhren wir schließlich mit dem Zug zurück nach Dhaka.

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