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Der Teejunge

Auf der anderen Straßenseite gibt es einen Teeladen, wie es viele in Bangladesch gibt. Gebaut aus Bambusstangen und Wellblech, das schon lange nicht mehr glänzt, steht er etwas verbeult am Straßenrand. Auf einem großen Holztisch, umschlossen von einem Käfig aus Maschendraht, sitzen abwechselnd ein alter Mann mit weißem Vollbart und sein Sohn mit einem glänzend schwarzen Bärtchen. Sie verkaufen ein paar alltägliche Kleinigkeiten an die Dorfbewohner vor allem aber Zigaretten, Betelnüsse und Tee.

Links daneben stehen die drei schmalen langen Tische aus dunkelbraunem Holz und die Holzbänkchen meistens so eng beisammen, dass ich meine Beine dicht an mich heranziehen muss, um Platz zu finden. Düster ist es immer. Tagsüber kommt kaum Sonnenlicht hinein und nachts geben zwei Öllämpchen ein warmes aber schwaches Licht. Langsam gewöhnen sich meine Augen an die Dunkelheit. Um mich herum sitzen nur Männer. Eingewickelt in dicke und breite braune Schals erinnern sie mich viel mehr an Beduinen aus der Wüste als an Rikschafahrer und Tagelöhner der Reisfelder und der Ziegelei.

Ganz hinten in der Ecke arbeitet Firus. Er ist schätzungsweise zwölf Jahre alt und wohnt mit seinen Eltern und seinen sechs Geschwistern gleich hinter dem nächsten Feld. Selten hat mich ein Kind so fasziniert wie er. Er kennt jede Bewegung wie im Schlaf. Ohne zu schauen greift er hinter sich, nimmt den Topflappen und umschließt damit den Griff des Wasserkessels. Mit ruckartigen aber doch auch flüssigen Bewegungen gießt er das heiße Wasser durch das Teepulver in das Glas. Kaum ist der leise dumpfe Ton vom Abstellen des Kessels auf dem Feuer und der laute metallene des Griffs verhalt, klirrt der Löffelstil im Glas und verrührt den Zucker. Ohne den kleinsten Bruch in der Bewegung schabt der Löffel drei kleine Stückchen Ingwer ab, die nacheinander ins Glas fallen. Drei zügige Schritte später stellt Firus das Glas mit einem lauten Knall vor mich auf den Tisch. Ich muss ihm jedes Mal zuschauen und vergesse dabei häufig, dass die Männer um mich herum zu mir sprechen.

Sie stellen mir immer wieder die gleichen Fragen: Woher ich komme, was ich hier denn mache, ob ich verheiratet bin und wie viele Geschwister ich habe. Firus kommt mir bei den meisten Fragen zuvor, weil er alle Antworten schon kennt. Er ist so etwas wie die Seele im Teeladen. Während die Besitzer etwas mürrisch in ihrem Käfig sitzen, macht er seine Späßchen mit den alten Männern, immer jedoch ohne den Respekt zu verlieren. Manchmal ist er auch Kind und baut aus einer Zigarettenschachtel eine Abschussrampe, von der die Streichhölzer, angetrieben von einer Stichflamme, in den Raum fliegen.

Ich bin davon überzeugt, dass Menschen wie er viel voranbringen können, jedoch wird er vermutlich nie die Möglichkeit dazu bekommen.

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