Startseite
Jetzt spenden

Der Hund frisst kein Heu

In Bangladesch, ein Land, das mit Flüssen durchzogen ist, erstrecken sich Deiche in einer Länge von 4.500 Kilometer. Alleine in Bhola, eine Region im Süden des Landes, erstrecken sich Deiche über eine Distanz von zweihundertfünfzig Kilometer. Etwa 3,5 Millionen Menschen, die unter der Armutsgrenze leben, besiedeln die Deiche in ganz Bangladesch. Rund zehntausend Familien, etwa siebzigtausend Menschen leben auf den Deichen in Bhola, im Mündungsgebiet des Golf von Bengalen und des Meghna.

Die meisten Menschen, die auf den Deichen leben, sind also Landlose, die aufgrund der Tatsache, dass das Land, auf dem ihre Hütte stand erodiert ist, bereits mehrere Male umziehen mussten. Die Besiedelung der Deiche ist eigentlich illegal, da dies regierungseigenes Land ist. Ohne Genehmigung dürfen die Landlosen hier nicht siedeln.

Das Bangladesh Water Development Board (BWDB), als regierungseigene Institution, hat es sich in den vergangenen Jahren zur Aufgabe gemacht, ungenutztes Land an die Landlosen zu verteilen. Dies gelang jedoch bisher nur sehr zögerlich. Durch die Zahlung von Bestechungsgeldern ist es gang und gäbe, dass lokale Politiker oder sonstige einflussreiche lokale Persönlichkeiten dieses Land unter Duldung des BWDB, illegal als ihr eigenes ansehen. Sie haben zwar keine Eigentumsrechte, doch es wird geduldet, dass sie dieses Land nutzen oder es aus Gründen des Prestiges einfach nur "haben". Dadurch nehmen sie den Landlosen den Zugang zu diesem Land, die eigentlich Anspruch darauf hätten.

In vielen Deichgebieten wurden die Landlosen von Regierungsseite angehalten, die Deiche zu verlassen, da die Kultivierung und Besiedelung diese beschädige. Eine Alternative wurde ihnen nicht geboten. Aber sie mussten sich nicht nur gegen die Order der Regierung wehren, sondern ebenso gegen die einflussreichen lokalen Politiker oder Eliten. Diese sehen nach der Zahlung von Bestechungsgeldern, das Land illegal als ihr eigenes an und vertreiben die Landlosen unter Gewaltanwendung immer wieder.

Erst nachdem sich Nichtregierungsorganisationen für die Rechte der Landlosen stark gemacht hatten, gelang es, den Landlosen das Recht einzuräumen auf und vor den Deichen zu besiedeln und das Land zu kultivieren. Das BWDB sah sich unter dem wachsenden Druck dieser Organisationen gezwungen, das Land freizugeben, zunächst für ein Jahr. Doch die Landlosen müssen sich im Gegenzug für die Instandhaltung des Deiches verantwortlich zeigen. Die Entwicklungsorganisationen unterstützten die Förderung von einkommensschaffenden Maßnahmen, wie den Anbau von Gemüse und Obst oder Fischzucht. Außerdem erhielten die Landlosen eine Ausbildung, um die Deiche professionell in Stand zu halten. Schäden, die vor allem durch Regen, Rikschas oder sonstige Transportmittel, aber auch durch Ratten verursacht werden, gilt es zu reparieren. Viele einflussreiche Lokalpolitiker und andere lokale Eliten, die das Gefühl hatten, durch die Zahlung von Bestechungsgeldern, einen "legalen" Anspruch auf das Land zu haben, waren nicht bereit das Land freizugeben.

Die Landlosen mussten heftige Kämpfe über sich ergehen lassen, viele Fälle über Eigentumsrechte, aber auch über körperliche Misshandlung und Mord mussten vor Gericht verhandelt werden und werden auch heute noch verhandelt. Mittlerweile haben es viele der Landlosen durch die Fürsprache der Entwicklungsorganisationen geschafft, das Land friedlich zu besiedeln.

Ein Problem besteht jedoch weiterhin: Die Landlosen dürfen lediglich an den Abhängen der Deiche auf der Flussseite siedeln. Hinter den schützenden Deichen dürfen sie nicht leben, da dieses Land kein Regierungsland ist. Es gehört einflussreichen Privatpersonen, so genannten landlords. Somit sind die Häuser der Armen Naturkatastrophen wie Wirbelstürmen ausgesetzt, die meistens mit heftigen Flutwellen einhergehen. Sie fallen wiederholt Überschwemmungen zum Opfer, und verlieren wieder und wieder ihr gesamtes Hab und Gut. Der Grund für ihre Armut ist also nicht vornehmlich der Mangel an Nahrung, sondern es sind vielmehr etablierte Machtstrukturen und soziale Hierarchien, die die Landlosen diskriminieren, ihnen die Möglichkeit nehmen Land legal zu besiedeln und Land zu fairen Bedingungen zu kultivieren.

Mir fällt eine Fabel des großartigen griechischen Philosophen Aesop ein: Ein Hund liegt in einer Futterkrippe, weich gebettet auf einem Haufen Heu. Durch heftiges Knurren und Zuschnappen verhindert er, dass die Ochsen, die um die Krippe herumstehen, von dem Heu fressen können. Seht, wie selbstsüchtig dieser Hund ist, sagt schließlich ein Ochse zu seinen Gefährten. Selbst wird er von dem Heu nichts fressen, jedoch beraubt er uns, die es dringend benötigen, der Möglichkeit, davon zu fressen.

Mehr BeiträgeAlle Beiträge

Ihre Spende kommt an.

Alle Projekte ansehen
Jetzt spenden

Sichere SSL-Verbindung