Der erste "field visit"
Fünf Tage ist es nun schon her, dass ich wieder aus Darzana zurück bin. Es war eine eindrucksvolle und erlebnisreiche Woche dort.
Ich übernachtete zunächst in Jessore und fuhr erst am nächsten Tag mit der Eisenbahn weiter nach Darzsana im Distrikt Chuadanga im Westen Bangladeschs. Für die Strecke von 68 Kilometer brauchte der Zug geschlagene zwei Stunden, wobei er mehr stand als fuhr. An Bord waren mehrere schwer bewaffnete Polizisten, die andauernd im Zug patroullierten. Züge werden in Bangladesch relativ häufig überfallen. Begleitet wurde ich von Mazed Nawaz. Er leitet das Programm für extrem arme Frauen, das von der Entwicklungsorganisation Jagorani Chakra mit Unterstützung von NETZ im Distrikt Chuadanga durchgeführt wird. Die Landschaft war über weite Strecken sehr schön. Alles Land links und rechts der Bahnlinie wird kultiviert. Wir fuhren durch zahlreiche Reisfelder, Bananen- und Kokosplantagen. Was für ein Unterschied zum Moloch Dhaka, wo die Kühe im Müll weiden und nicht auf grünen Wiesen. Die Luft war sehr angenehm, endlich konnte ich wieder richtig durchatmen. Ein starker Kontrast dazu waren die ärmlichen Dörfer entlang der Strecke, meist nur Lehm- oder Wellblechhütten. Auf den Feldern, von denen viele noch vor wenigen Wochen überflutet waren, verrichteten Bauern und Tagelöhner Schwerstarbeit. Hier wird der Pflug in der Regel von Ochsen oder Menschen gezogen. Eine schweißtreibende Arbeit, noch dazu bei den hiesigen Temperaturen, die noch immer bei etwa 25-30 Grad Celsius tagsüber liegen. Auch sonst ist nahezu überall Manneskraft gefragt, wofür in der deutschen Landwirtschaft fast nur noch Maschinen eingesetzt werden.
Als wir in Darzsana ankamen sah ich, dass einige Männer unter dem Zug, irgendwo über den Achsen, ein paar große Säcke verstauten. Ich dachte mir, was für eine interessante Verlademethode, und griff schon nach meiner Kamera. Mazed klärte mich jedoch gerade noch rechtzeitig auf, dass dies Schmuggeltransporte seien. Darzsana ist eine Kleinstadt mit 18.000 Einwohnern, nur etwa 2,5 Kilometer von der indischen Grenze entfernt. Täglich pendeln mehrere Züge zwischen dem indischen Kalkutta und Darzsana. Viele Menschen leben hier vom Schmuggeln.
Besonders interessant in dieser Woche waren für mich die Besuche bei einigen Frauengruppen in den Dörfern rund um Darzsana. An dem Entwicklungsprogramm für extrem arme Frauen beteiligen sich derzeit 3.400 Frauen. Ziel ist es, durch den Aufbau von Selbsthilfe-Organisationen, Schulungen und durch Startkapital die Situation von extrem armen Frauen und damit auch ihren Familien zu verbessern. Manch eine hat es in den letzten beiden Jahren schon geschafft, mit dieser Hilfe eine eigene Existenz aufzubauen. Die Biografien der Frauen sind sehr unterschiedlich. Viele sind geschieden oder verwitwet, haben sich und ihre Kinder durch Schmuggel oder Prostitution über Wasser gehalten. Das Projekt von NETZ und Jagorani Chakra hat ihnen eine neue Lebensperspektive gegeben. Mazed und ein Kollege haben mich auf dem Motorrad in mehrere Dörfer mitgenommen - diesmal auch mit Helm. Teilweise war es ziemlich anstrengend, außerdem habe ich mir den rechten Unterschenkel am Motor verbrannt. Die meisten Straßen sind zwar asphaltiert, aber zu den oftmals abgelegenen Dörfern führt meist nur eine tief zerfurchte Schotterpiste. Die Begegnungen mit den Frauen waren spannend, interessant und bewegend. In einem Hindu-Dorf habe ich sogar etwas Korbflechten beigebracht bekommen. Wenn ich ab Anfang Dezember für zwei Monate in dem Projekt bin, werde ich ausführlicher über meine Begegnungen vor Ort berichten.