Das Geschenk
Ich sitze am Straßenrand auf einer kleinen niedrigen Holzbank vor einer Teehütte und trinke Tee. Diese Teehütten bestehen meistens nur aus zwei oder drei aufgestellten Holz- oder Wellblechwänden und einem entsprechendem Dach. Tausende dieser kleinen Teehütten finden sich in Dhaka. Auf einem offenen Feuer steht ein kleiner Teekessel. Daneben ein Eimer mit trübem Wasser, welches zum Spülen der Tassen dient. In den ehemals weißen Tassen hat sich das Teein der vergangenen Jahrzehnte festgesetzt. Um die Teehütte herum stapelt sich der Abfall. Orangen- und Bananenschalen, leere Kokosnüsse, Zigarettenpackungen, Plastikflaschen, aber auch ab und an tote Ratten oder Katzen, sowie menschliche Exkremente. Ich nippe an meinem milchig-süßen Tee und ziehe an meinem bidi, einer kleinen Zigarette, die ein furchtbares Kratzen im Hals verursacht, jedoch einen angenehm herben, kräuterähnlichen Nachgeschmack im Mund zurücklässt. Ein kleines Mädchen kommt auf mich zu. Etwa siebenjährig, lediglich bekleidet mit einem zerrissenen, viel zu langen Hemd, das ihr bis zu den Knöcheln reicht. Ihr hübsches Gesicht ist trotz der dicken Schicht getrockneten Schmutzes deutlich zu erkennen. Sie zieht eine Art Kartoffelsack hinter sich her, der ihre eigene Körpergröße um das Dreifache überragt. Sie sammelt Abfälle. Viele Kinder sitzen auf Müllbergen in Dhakas Strassen, um Essbares zu finden. Das kleine Mädchen überquert die Strasse, den Sack hinter sich herziehend, ohne zu bemerken, dass der Boden des Sackes durch das stundenlange Schleifen über den Asphalt bereits durchgescheuert ist. Nach und nach hinterlässt das kleine Mädchen eine Spur von Mandarinen- und Bananenschalen, verfaulten Tomaten oder Wassermelonenschalen, in denen sowohl noch Reste des roten Fruchtfleisches als auch die Gebissabdrücke derjenigen Person zu erkennen sind, die noch kurze Zeit zuvor ihre Zähne genussvoll in das saftige Fleisch eingetaucht haben muss.
Das kleine Mädchen steht jetzt direkt neben mir. Sie greift in einen mit Fliegen übersäten Abfalleimer, wühlt ein wenig herum, um letztlich eine Bananenschale herauszuziehen. Mit ihren schmutzigen Fingernägeln kratzt sie die letzten essbaren Reste von der Innenseite der Schale ab und steckt sich diese in ihren Mund. Sie dreht sich zu mir um; ich, auf der kleinen niedrigen Holzbank sitzend, sie stehend, sind unsere Gesichter auf gleicher Höhe nicht weit voneinander entfernt. Sie schaut mich an. Dann lächelt sie.
Vielleicht das bezauberndste Lächeln, das ich jemals geschenkt bekommen habe.