Das Blumenmädchen von Bashundhara City
Morgens gegen halb neun ist Pantha Path, eine der großen Strassen Dhakas, heillos mit Autos, Bussen, Rikschas und Baby-Taxis verstopft. Um neun beginnt die Büroarbeit, so dass um diese Zeit hunderttausende kreuz und quer durch die Stadt reisen. Heute morgen steht mein CNG, das sind die mit Gas betriebenen Baby-Taxis, zwanzig Minuten vor der Bashundhara City im Verkehrschaos fest. Dieser riesige Glasturm beherbergt die größte Shopping Mall Südasiens, zumindest wird das so behauptet. Das Hochhaus ist innen offen und man kann über dutzende Rolltreppen bis ins obere Stockwerk fahren und über die Stadt blicken. Hier gibt es Fast Food, CD-Läden und Modeboutiquen. Am Abend gehört es zu den Lieblingsbeschäftigungen des oberen Mittelstands, hier über die Treppen zu flanieren, Pizza zu essen, Geld auszugeben - sehen und gesehen werden eben. Die Bashundhara City ist eine herunter gekühlte Glitzerwelt, in denen man die heißen, dreckigen Strassen von Dhaka schnell vergisst. Eine Shopping Mall wie sie auch in Atlanta oder Berlin stehen könnte. Nur McDonalds gibt es noch nicht. Dafür ein riesiges Multiplexkino mit allen Rafinessen. Da läuft Hollywood und Bollywood parallel. Das Popkorn kostet mehr als der Tagesverdienst der meisten Bangladeschis.
Doch ich sitze unten im Verkehr. Es wird langsam wieder heiß und zwischen den qualmenden Bussen steht die Luft. Ich werde nervös, denn wieder einmal komme ich zu spät zur Arbeit. Der Motor ist inzwischen aus, es geht nichts voran. Mein Blick fällt auf ein kleines Mädchen. Am Straßenrand sitzt sie auf dem dreckigen Topf einer Palme vor der Bashundhara City. Alles in dieser Strasse ist bedeckt vom Staub der Straße - die Stufen zur Glitzerwelt, der Baum, das Mädchen. Sie sieht mich nicht, denn sie döst im Schatten. Ich versuche zu lesen und hoffe, dass mich kein Bettler oder Straßenverkäufer entdeckt. Wenn man im Stau festsitzt, ist man ihnen hilflos ausgeliefert. Sie umzingeln das Auto, halten einen an den Händen fest, und wiederholen stoisch: "Apa, den, den apa - Gib mir was Schwester, gib was". Ich gebe oft, aber allen geben kann ich nicht. Und am nächsten Tag werden sie wieder da sein, wieder fragen. Es ist die eigene Hilflosigkeit, die einen diese Situation vermeiden sucht. Das unangenehm bedrückende Gefühl, in diesem Taxi zu sitzen, während andere draußen stehen und ihr Überleben zusammenbetteln.
So in Gedanken verloren habe ich plötzlich einen Strauß rote Rosen im Gesicht. Das kleine Mädchen hat mich zwischen den Autos entdeckt. "Zehn Taka, Schwester", sagt sie lächelnd. Ich lehne ab. Sie versucht es wieder und wieder, "Nur zehn Taka!". Ein Junge kommt auf der anderen offenen Seite des Taxis hinzu. "Du musst Englisch reden", sagt er seiner kleinen Freundin, "die versteht dich nicht". "Die ist ein Bangladeschi-Ausländer (Bangladeshi bideshi), die versteht alles!", antwortet die Kleine frech. "Du bist ganz schön schlau", sage ich. "Du bist auch ziemlich schlau", kontert sich mit einem Lächeln. Inzwischen stehen zehn Kinder um das CNG, die mir alle Bündel roter Rosen entgegen halten. Zunächst muss ich alle Namen lernen. Zakir, Nobbi, Liton und wie sie alle heißen - und natürlich Shuma. Sie ist vielleicht zehn, und blitzschlau. Als ich sage, dass ich aus Deutschland komme, schreit sie: "Futbol desh - ein Fussball-Land! Wie Italien!". Die Rasselband entdeckt das Bengalisch-Lehrbuch auf meinem Schoss. "Gehst Du noch zur Schule?", fragen sie neugierig. Sie gehen morgens alle zur Schule, aber heute sind die anderen Kinder auf einem Ausflug, den sie sich nicht leisten können. Also verkaufen sie heute den ganzen Tag Blumen. "Du siehst schön aus", sagt Shuma. Ich kneife in ihre kleine Backe und sage: "Du auch". Sie stemmt die Hände in die Hüfte und erklärt: "Wir sind eben alle schön hier!". Nebenbei verbessert sie meine Bangla-Fehler. Ob es meinen Eltern gut geht? Ob es mir gut geht? Was ich arbeite, wollen sie wissen und wo ich hinfahre. Von meinem Namen haben sie nur "Zia" behalten, das reicht auch.
Als der Verkehrspolizist zweihundert Meter weiter vorne am nächsten Kreisverkehr diese Strasse zum weiterfahren freigibt, wirft der CNG-Fahrer den Motor wieder an. Inzwischen sitzen drei Kinder mit mir auf der kleinen Sitzbank, weitere zehn stehen um das kleine Gefährt außen herum. Er hat die Szene lächelnd beobachtet. "Kauf doch noch Blumen!", rufen sie alle. "Alle für fünfzig Taka!". Diesem Angebot kann ich nichts entgegensetzen. Da sitze ich nun mit fünfzig dicken roten Rosen auf dem Schoß, für die ich weniger als 60 Cent bezahlt habe. "Was soll ich denn damit?", frage ich. "Du hast doch Kollegen", weiß Shuma zu anworten, "und komm wieder!". Das CNG fährt an.
Im Büro angekommen, staunen meine Kollegen: "Was ist passiert, woher hast du die Blumen?". Ich kann den dicken Strauss kaum zusammenhalten, "Du strahlst ja so, was ist denn?" - "Später", sage ich nur, und suche einen grossen Eimer mit Wasser.