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Begegnungen in Strohhütten und der Residenz des Botschafters

Mit meinen Kollegen der Menschenrechtsorganisation Ain-o-Salish-Kendro fahre ich nach Kushtia, in den Westen von Bangladesch. Wir besuchen Menschen, die Opfer von Gewalt und Rechtsverletzungen wurden. Die Bandbreite der Ungesetzlichkeiten reicht von unrechtmäßigen Scheidungen über Betrug um Landbesitz bis zu Morddrohungen. Vor allem Frauen und Landlose sind die Leidtragenden von Gewalt. Ihr niedriger Bildungsstand und ihre Armut machen sie zum Spielball einflussreicher und wohlhabender Familien. NETZ hat zusammen mit Ain-o-Salish-Kendro ein Programm entwickelt, um diesen benachteiligten Menschen Zugang zu ihrem Recht zu verschaffen. Das Projekt wird durch Spenden und das deutsche Entwicklungsministerium finanziert. Durch Schulung lokaler Meinungsführer und die Gründungen lokaler Menschenrechtsgruppen wird ein Netzwerk geschaffen, um die Opfer der Machtstrukturen aufzufangen und zu unterstützen. Zum Beispiel wurde in Kushtia ein zwölfjähriges Mädchen vergewaltigt. Da der Täter einer einflussreichen Familie angehört, wurde er nicht vor ein Gericht gestellt. Die Menschenrechtsgruppen organisierten eine Demonstration, damit ein ordentliches Gerichtsverfahren durchgeführt wird. Alle Mitglieder der Gruppen arbeiten ehrenamtlich. Selbst von Drohungen lokaler Machthaber, die um den Verlust ihrer Vorrechte fürchten, lassen sie sich nicht abhalten. Diesen Menschen, die sich für ein besseres Bangladesch einsetzen, in dem alle Menschen gleich sind, gehört mein ganzer Respekt.

Zusammen mit zwei anderen Freiwilligen erstelle ich einen Bericht über das Grundschulsystem in Bangladesch. Der Schwerpunkt von Nils liegt auf der Arbeit mit Kindern, die ethnischen Minderheiten angehören. Julius arbeitet mit behinderten Kindern. Meine Aufgabe ist es, die Situation von Mädchen in ländlichen Schulen darzustellen. Oft haben Mädchen nicht die gleichen Zugangsmöglichkeiten zu Bildung wie ihre Brüder. Alte Traditionen in einer stark von Männern dominierten Gesellschaft sind die wichtigste Ursache. Eine bessere Bildung bedeutet zugleich mehr Gerechtigkeit und Gleichheit für die Mädchen und Frauen in Bangladesch. Denn wer nicht lesen kann, kennt auch seine Rechte nicht. Um mir ein Bild von der Lage machen zu können, führe ich Interviews mit vier Mädchen. Die zehnjährige Rani mit ihren großen Augen, den schwarzen Haaren und ihrer hellblauen Schuluniform ist zunächst noch etwas schüchtern. Doch Dank Saba, einer Kollegin von Ain-o-Salish-Kendro, die mir hilft das Gespräch zu führen, taut sie schnell auf. Sie erzählt, dass sie erst vor einem Jahr eingeschult wurde. Jetzt besucht sie jedoch schon die fünfte Klasse, die ihrem Alter entspricht. Ranis Vater arbeitet am Schalter eines Busunternehmens. Sein Verdienst ist so gering, dass die Familie davon nicht überleben kann. So haben Ranis Brüder, die elf und zwölf Jahre alt sind, die Schule abgebrochen und arbeiten in einem kleinen Laden in Kushtia. Saba meint, dass dies leider kein Einzelfall ist, vor allem in ländlichen Gebieten. Nach offiziellen Angaben werden heute neunundneunzig Prozent der Kinder Bangladeschs in die erste Klasse eingeschult. Doch ein Drittel der Kinder bricht die Grundschule vorzeitig ab.

Wie alle anderen Deutschen in Bangladesch, die bei der Botschaft, für die staatliche Entwicklungshilfe oder für ein Unternehmen arbeiten, sind wir Freiwilligen auch zum Neujahrsempfang des deutschen Botschafters in Bangladesch eingeladen. Als wir in der Residenz des Botschafters in Dhaka ankommen, begrüßt er uns persönlich. Er interessiert sich sehr für unsere Arbeit und unsere Erfahrungen. Natürlich erzählen wir auch die eine oder andere lustige Geschichte, die Ihr bereits aus meinen früheren Berichten kennt. Ihr könnt Euch sicher gut vorstellen, wie toll es ist, nach über drei Monaten in Bangladesch wieder einmal heimatliche Kost zu bekommen: Häppchen mit gekochtem Schinken, Leberwurst und Käse, Pizzabrot und Linsensuppe. Da wir mit Abstand die jüngste und lebhafteste Gruppe unter einem sonst eher älteren Publikum sind, gesellen sich im Laufe des Abends immer mehr Leute zu uns. Am Ende gehören wir zu den Letzten die - nach einem sehr interessanten und netten Abend - die Feier verlassen.

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