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Ausflüge in die westliche Welt

Bei dem bisher schwersten Anschlag auf eine Veranstaltung der oppositionellen Awami League seit August letzten Jahres wurde am 27. Januar der ehemalige Finanzminister und Parlamentsabgeordnete Shah A.M.S. Kibria in Habigaj ermordet. Der 73jährige hatte auf einer Kundgebung seiner Partei eine Rede gehalten und wollte gerade in seinen Dienstwagen einsteigen, als Unbekannte zwei Handgranaten nach ihm warfen. Unmittelbar vor dem Anschlag fiel plötzlich für einige Minuten der Strom aus. Kibria und mehrere Parteifreunde brachen schwer verletzt zusammen, er verlor kurz darauf das Bewusstsein. Zunächst wurde Kibria im lokalen Krankenhaus von Habigaj behandelt, dann entschied die Parteiführung, ihn nach Dhaka zu verlegen. Auf dem Weg dorthin erlag er seinen schweren Verletzungen. Neben Kibria wurden noch vier andere Politiker der Awami League bei dem Anschlag getötet und etwa siebzig weitere verletzt. Nach Polizeiangaben wurden bei dem Anschlag Handgranaten des gleichen Typs verwendet wie schon bei dem missglückten Attentat auf die Oppositionsführerin Sheikh Hasina am 21. August 2004 in Dhaka, das bisher nicht aufgeklärt werden konnte. Die Parteiführung der Awami League machte die Regierung für die Tötung von Kibria verantwortlich. Am 29. Januar wurde Kibria mit einem Staatsbegräbnis auf dem Friedhof in Banani/Dhaka beigesetzt.

Kibria war einer der führenden Politiker der Awami League. Seine Ermordung löste eine schwere politische Krise aus, die andauert. Landesweit kam es zu zahlreichen Protestkundgebungen und Zusammenstößen zwischen Anhängern der beiden großen Parteien und der Polizei mit mehreren Hundert Verletzten und einigen Toten. Die Opposition rief bisher drei Hartals (Generalstreiks) in Folge aus: einen 60stündigen Hartal vom 29. bis 31. Januar, einen 12stündigen Hartal am 3. Februar und einen 36stündigen Hartal von heute Morgen sechs Uhr an. Außerdem platzte der für dieses Wochenende in Dhaka geplante SAARC-Gipfel (South Asian Association for Regional Cooperation). Indien sagte seine Teilnahme aufgrund der aktuellen Nepal-Krise und der sich seit dem Kibria-Mord stetig verschlechternden Sicherheitslage in Dhaka ab. Auch international gerät die Regierung Bangladeschs zunehmend unter Druck. Diese hat inzwischen formell Hilfe von Interpol, Scotland Yard und dem FBI bei der Aufklärung des Attentats erbeten. Auch wenn die Lage derzeitig sehr angespannt ist, wird ein Sturz der Regierung nicht befürchtet.

Am Abend des 27. Januar nahm ich mit einigen anderen Freiwilligen am Neujahrsempfang des deutschen Botschafters in dessen Privatresidenz teil, zu dem alle Deutschen in Bangladesch eingeladen waren. Es war eine entspannte und lockere Gartenparty mit leckerem deutschem und bengalischem Essen. Außerdem wurde guter Weißwein ausgeschenkt, etwas, das man in den wenigen "Duty Paid"-Läden hier vergeblich sucht. Insgesamt hat es uns allen ganz gut gefallen, mir vor allem auch die Gespräche mit vielen interessanten Menschen dort.

Neben der Arbeit und trotz des Hartals, bei dem fast das gesamte öffentliche Leben erlahmt, konnte ich noch ein paar Unternehmungen durchführen. So besuchte ich am 30. Januar die Mondols in Karpasdanga, bei denen ich Weihnachten gefeiert hatte, und den italienischen Pater der dortigen katholischen Mission. Es war ein herzliches Wiedersehen. Sowohl die Mondols als auch Pater Daniel haben sich über die Fotos von Weihnachten, welche ich ihnen schenkte, sehr gefreut. Besonders interessant war der Besuch in der großen Zuckerfabrik in Darsana, einer der größten des Landes. Dort werden aus Zuckerrohr nicht nur Zucker und Melasse, sondern in einem angegliederten Bereich auch Schnaps hergestellt. Insgesamt ist die Anlage der Firma "Carew & Co." Recht eindrucksvoll, obgleich schon etwas heruntergekommen. Sie wurde im Jahre 1938 errichtet und vermutlich seitdem nicht mehr modernisiert. Man sah den Maschinen deutlich an, dass sie schon viele Jahrzehnte in Betrieb sind. Aber sie laufen noch! Selbst während des Hartals - das wird durch private und staatliche Sicherheitskräfte gewährleistet. Es war schon ein kleines Abenteuer, zwischen all den dröhnenden Maschinen auf teilweise äußerst schmalen Metallpfaden auf die verschiedenen Ebenen zu klettern, vorbei an dampfenden Kesseln und offenen Becken mit heißer Melasse, hinweg über die gewaltigen Zahnräder und Förderbänder der Zuckerrohrmühle bis hin zu den Zentrifugen, aus denen ich frisch produzierten Rohrzucker probieren konnte - köstlich! Beim Verlassen der Fabrik kamen wir noch an einem angegliederten Chemielabor vorbei und an einigen Männern, die mit großen Schaufeln eine gelbfarbene Chemikalie in eine der Maschinen kippten. Salpeter war es offenbar, wenn ich die Männer richtig verstanden habe, aber ich weiß nicht, wofür dieser verwendet wird. Der Schnaps wird in einem anderen Gebäude produziert. Abgesehen von den großen, offenen Tanks voller Ethanol war die Einrichtung eher unspektakulär. Gestaunt habe ich nur über die Bandbreite der verschiedenen Schnapssorten, die dort aus der Melasse hergestellt werden: Neben dem "Gold Riband Gin", den ich schon probiert habe und der ganz gut schmeckt, werden noch andere Gin-Sorten, Whiskey, Brandy, Wodka und Rum produziert. Die Fabrik in Darsana darf als einzige im Land Hochprozentiges mit staatlicher Lizenz herstellen. Nach Aussagen der Mitarbeiter wird der Alkohol hauptsächlich in Bangladesch vertrieben und nur ein kleiner Teil nach Pakistan exportiert. Westliche Länder zählen nicht zum Abnehmerkreis, schade eigentlich.

Am 2. Februar war ich erstmals im hiesigen Goethe-Institut und habe mir einen deutschen Film angeschaut: "Der alte Affe Angst". Eine wildes Drama um Liebe, Sex und Aids, aber gut gemacht. Ein bisschen skurril war es schon, sich einen solchen Film hier, nach vier Monaten in Bangladesch, anzuschauen. Irgendwie ist Deutschland doch schon relativ weit weg, nicht nur räumlich. Aber es war ganz schön, überhaupt einmal wieder einen deutschen Film zu sehen. Auch der nächste Tag brachte einen Ausflug in die westliche Welt, allerdings ziemlich unerwartet. Elisa, die ein Praktikum beim Goethe-Institut absolviert und bei uns im Gästehaus wohnt, nahm mich und ein paar andere mit auf eine Party. Wir erwarteten eine kleine private Feier, doch wir fanden uns schließlich in einer großen Hochzeitsgesellschaft wieder. Alles war ziemlich nobel und ziemlich westlich aufgemacht. Es gab ein großes Buffet, Spirituosen wurden frei ausgeschenkt und der vordere Bereich des Saals war zu einer Disco-Tanzfläche umfunktioniert worden. Bunte Scheinwerfer sausten über die Tanzfläche, sie waren die einzige Lichtquelle im Raum. Dazu wurde westliche und Hindi-Popmusik gespielt. Wie in einer westlichen Diskothek tanzten Männer und Frauen relativ freizügig miteinander und so manch junge Bengalin flirtete dabei auch recht offensiv mit uns Jungs, was mich anfangs doch ziemlich irritierte. Das ist hier nämlich sonst ganz und gar nicht üblich. Um 5 Uhr morgens fuhren wir schließlich mit einem Taxi zurück in unsere Unterkunft. Uns allen hat dieser Abend wirklich gut getan. Für mich war es der erste dieser Art hier in Bangladesch.

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