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Arm gegen Armut!

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NGOs sind in Bangladesch mit ihren Projekten gegen Armut so präsent, wie Aale Dieter auf dem Hamburger Fischmarkt. In fast jedem noch so abgelegenen Dorf im ländlichen Bangladesch sieht man Schilder mit Kürzeln, die das Arbeitsgebiet einer Nichtregierungsorganisationen markieren. Und das, obwohl die Regierung Bangladeschs vor einigen Jahren vielen Organisationen die Lizenz entzogen hat. Zu den Gründen zählte unter anderem, dass im Namen der Armutsbekämpfung Gelder entwendet wurden, Korruption vorherrscht und Vetternwirtschaft betrieben wird. Dass der Ankläger mit dieser Prämisse auch im eigenen Hause kehren könnte, ist ein anderes Thema.

Neben diesen offensichtlichen Missständen in der bangladeschischen NGO-Landschaft, finden sich in vielen NGOs kleinere und größere Widersprüche. Widersprüche zwischen den Idealen und dem Alltag am Arbeitsplatz. Ein Beispiel: Viele NGOs setzen sich für die Rechte und die Gleichstellung der Frau in der bengalischen Gesellschaft ein. Trotzdem spiegelt die Geschlechterverteilung der Belegschaft dieser NGOs das nicht zwingend wider. Das zeugt nicht von Scheinheiligkeit, sondern schlichtweg davon, dass die Gesellschaft diesem Ideal noch nicht gerecht werden kann. Auf dem Arbeitsmarkt gibt es nicht genügend gut ausgebildete Frauen, um angemessen viele Vakanzen besetzen zu können. Einige können den Anforderungen zwar gerecht werden, müssen sich in der Familie aber der patriarchalischen Rollenverteilung beugen.

Ein Beispiel soll diesen Widerspruch verdeutlichen. Dulal ist bei Jagorani Chakra Foundation (JCF) als Büroassistent in Rangpur angestellt. Dieser Beruf ist etwas ganz normales in Bangladesch: Büroassistenten sind dafür zuständig dafür zu sorgen, dass Papier im Drucker ist, Stühle und Tische für Meetings zu arrangieren, den Mitarbeitern Tee und Wasser an den Schreibtisch zu bringen, Botengänge zu erledigen oder auf den Markt zu gehen, um Lebensmittel einzukaufen. In der Hierarchie der Organisation ist er eines der untersten Glieder, wodurch der Umgangston mit ihm schon mal etwas rau sein kann. Das bedeutet nicht, dass Dulals Arbeit keine Wertschätzung erhält oder er ausschließlich seine Vorgesetzten bedienen muss. „Wasser!“, muss dann aber trotzdem für ihn Information genug sein, um dem durstigen Schreihals seinen Wunsch zu erfüllen. Oft gehört und zur Weißglut gebracht hat mich im letzten Jahr auch folgender Satz: „Dulal, mach mal den Ventilator an!“ Während der Mitarbeiter selber nur einen Meter neben dem Schalter sitzt.

Dulal arbeitet seit knapp einem halben Jahr in unserem Büro.Vorher war er auch schon bei JCF angestellt, allerdings arbeitete er damals noch im knapp 15 Kilometer entfernten Projektbüro in Gangachara. Als er hier anfing zu arbeiten, fragte ich ihn, warum er auf einmal in das Hauptbüro gewechselt ist, ob es für ihn ein Aufstieg sei. Darauf antwortete er: „Nein, nein. Ich weiß nicht, warum ich hierher wechseln musste. Das war eine Entscheidung der Chefs. Für mich ist es sehr unpraktisch, weil meine Familie in Gangachara wohnt und wir uns keinen Umzug leisten können. Jetzt bin ich täglich zwei Stunden mit dem Fahrrad unterwegs, um zum Büro und zurück zu fahren.“ Wer das alte Fahrrad sieht, mit dem er diese Strecke bewältigen muss, könnte meinen, dass Dulals Urgroßvater damit bereits vor 100 Jahren durch die Reisfelder gestrampelt ist. Bei weit über 35° Celsius in der prallen Sonne oder überfluteten, unbefestigten Straßen während der Regenzeit kann man sich ohnehin schönere Beschäftigungen vorstellen.

Zwar hat Dulal einen festen Job und ein geregeltes Einkommen von 4.500 Taka, umgerechnet sind das zirka 45 Euro, doch das reicht gerade so, um für Frau, Tochter und die Eltern zu sorgen. „Vorher habe ich noch mehr verdient, mit dem Wechsel ins Hauptbüro ist mein Gehalt weniger geworden“, sagt er. „Viel leisten konnten wir uns sowieso nie, aber jetzt wird es doch ganz schön eng. Wir müssen uns stark einschränken, bei dem was wir für Essen, Medikamente oder Kleidung ausgeben“, berichtet Dulal weiter.

Seine Familie und er leben im Schwemmlandgebiet in Gangachara. Früher waren sie nicht ganz so arm, allerdings wurde vor einigen Jahren ihr ganzer Besitz von einer Flut mitgerissen. Seitdem kommen sie nicht mehr auf die Beine. „Ich habe ja sogar hier in Rangpur studiert“, erzählt Dulal. „Nach dem Bachelor habe ich für BRAC [die größte NGO Bangladeschs] gearbeitet. Als dort das Projekt beendet war, habe ich kurz bei einer anderen NGO gearbeitet. Danach habe ich keinen neuen Job mehr in meinem eigentlichen Bereich gefunden und musste erst einmal als Lehrer arbeiten. Das Gehalt war sehr schlecht. Irgendwann blieb es für Monate ganz aus, darum musste ich den Job hinschmeißen.“

Kurz darauf fing er bei JCF an. „Beworben habe ich mich für eine bessere Position, aber die Jobs waren schon vergeben“, berichtet er. „Da blieb mir nichts anderes übrig, als den Job als Büroassistent anzunehmen. Der Arbeitsmarkt hier in der Region gibt ja nichts anderes für mich her.“ Insgeheim hofft er darauf, dass er irgendwann in der Organisation aufsteigen kann. Die Chancen dafür sind allerdings sehr gering.

So wie Dulal geht es vielen Menschen in Bangladesch. Tausende suchen darum Jahr für Jahr ihr Glück in Dhaka oder einer der anderen großen Städte des Landes. Dort pulsiert das Leben, dort sind vermeintlich gute Jobs zu finden. Die Wirtschaft des Landes wächst unaufhaltsam und bringt Profit, Arbeitsplätze und Wohlstand. Doch längst nicht für jeden. Im Gegenteil. Millionen Menschen fristen ein Dasein in Armut in den Slums von Dhaka. Das weiß auch Dulal, darum bleibt er lieber bei seiner Familie in Gangachara und nimmt die täglichen zwei Stunden fahrt auf sich, um für sich und seine Familie wenigstens für das Nötigste sorgen zu können. Wenn man es genau betrachtet: Eine Wahl hat er eigentlich nicht.

Die verantwortlichen Mechanismen, die Dulals Hoffnung auf eine Besserung seiner Lage wie die Zahnräder eines unerbittlich fortschreitendes Uhrwerk zermahlen haben, sind abstrakt und gesichtslos. JCF, wie auch den tausenden anderen NGOs in Bangladesch, sind die Hände gebunden. Der Wettkampf um Fördergelder für Projekte ist ähnlich hart, wie Dulals Kampf auf dem Arbeitsmarkt in Rangpur. Wäre JCF nicht bereit, Kompromisse mit den eigenen Idealen einzugehen, dann würde man leer ausgehen und die Fördermittel gingen an die Organisation, die ein ähnliches Projekt mit niedrigeren Gehältern durchführen kann. Auch wenn die Konsequenz daraus in manchem Fall ein Kampf in Armut gegen Armut bedeutet!

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