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Ankunft auf einer Schwemmlandinsel

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Heute bin ich auf der Schwemmlandinsel Kunderpara angekommen, um hier 5 Tage zu verbringen und die von NETZ unterstützten Schulen zu besuchen. Kunderpara liegt im Nordwesten Bangladeschs, eine Insel im Fluss Brahmaputra. Zudem führe ich mit einer Schulklasse außerschulische Aktivitäten durch, studiere mit ihnen ein Lied ein und versuche anschließend Aufnahmen davon zu machen. Neben ein paar weiteren Aufgaben sind das meine wichtigsten Ziele für meinen Aufenthalt und ich habe noch keine Ahnung, ob und wie ich sie werde umsetzen können. Da meine Kollegen aus dem Bildungsteam von GUK alle auf einem Training sind, bin ich ziemlich allein auf mich gestellt und hoffe alle Sprach- und sonstige Barrieren erfolgreich überwinden zu können.

Ich muss zugeben, dass ich auch ein etwas mulmiges Gefühl vor der Abreise hierher hatte, vor allem wegen der Unsicherheit, die mich hier erwarten würde. Dazu gehören die häufiger auftretenden Stürme, der eventuelle Mangel an Hygiene, trinkbarem Wasser, Strom und vor allem Privatsphäre sowie die Herausforderungen, die sich durch mein geplantes Projekt ergeben könnten.

Nach der Ankunft habe ich mein Bett in einer der Gemeinschaftsunterkünfte für die GUK-Mitarbeiter bekommen, die hier regelmäßig übernachten und nur fürs Wochenende zu ihren Familien aufs Festland fahren. Dieses besteht aus einem Holzgestell, das auf dem Lehmboden aufgestellt ist. Als „Matratze“ dient nur eine Art Bettdecke, aber an die harten Betten bin ich schon gewöhnt. Viel wichtiger ist das Aufhängen meines Moskitonetzes, das mich im Notfall auch vor den weiteren Mitbewohnern des kleinen Raums schützt - einer Fledermausfamilie.

Den ersten Tag verbringe ich neben der Anreise damit, alle Mitarbeiter und den Ort kennenzulernen und mich etwas unter die lokale Bevölkerung zu mischen. Dies ist viel leichter, als man denkt: es genügt nur ein paar Meter aus dem Büro in Richtung des nahe gelegenen Marktes zu gehen und schon ist man von Menschen umringt, die alle sehr neugierig darauf sind, Informationen über meine Herkunft, Ehestand, Bildung und Zweck meines Aufenthalts zu erfahren. Ich verbringe also einen guten Teil des Nachmittags damit, mit den Menschen vor den Teebuden, Geschäften und Plätzen zu quatschen und hoffe, auch von ihnen ein paar interessante Informationen über ihr Leben hier zu erfahren. Ich hoffe auch, dass sich die „Grundinformationen“ über meine Person so schnell wie möglich unter den etwa 2.800 Einwohnern der Schwemmlandinsel verbreiten, so dass ich nicht immer dieselben Fragen beantworten muss. Zu diesen Grundinformationen, die für viele Bangladeschis wichtig sind, gehören neben den erwähnten Personendaten auch die Anzahl der Brüder und Schwestern sowie Auskünfte über meine Eltern. All dies kommt bei mir fast schon wie aus der Pistole geschossen und erweckt bei manchen den Eindruck, ich könnte bereits perfekt Bengalisch sprechen. Das wird einem erst dann zum Verhängnis, wenn man plötzlich zum Beispiel in ein Gespräch über Religion verwickelt wird, was sehr schnell der Fall sein kann, und nicht mehr mitkommt. Schade! Aber leider sind meinen Sprachkenntnissen hier Grenzen gesetzt.

Aus der Ferne höre ich Trommeln und Trompetenklang und erfahre, dass es sich um eine Feier anlässlich der kürzlich hier statt gefundenen Gemeindewahlen handelt. Ich beschließe also mit meiner Kamera querfeldein der Musik zu folgen, um die feiernde Menge und den neuen Bürgermeister zu fotografieren. Nach etwa 20 Minuten zu Fuß durch Felder, vorbei an Kühen, Ziegen und Wellblechhütten erreiche ich die Musikergruppe und eine große Menschenmenge, die feierlich den Einzug des neuen Vorsitzenden feiern. Neben diesem wurde auch ein Mitglied der Gemeinde gewählt, der mit Geldscheinen behangen ist und von den Musikern belagert wird. Nachdem auch ich dem Spektakel mit einer Spende an die Musiker Tribut gezollt habe, fangen sie erneut an zu spielen und sich in verschiedenen Posen vor meine Kamera zu stellen. So ziehe ich mit ihnen eine Weile von Haus zu Haus und beobachte das Geschehen.

Zurück auf dem Hauptplatz der Insel angekommen, der als Zufluchtsort bei Überschwemmungen und starken Stürmen sowie als Fußballplatz dient, habe ich nur wenig Zeit zum Ausruhen. Denn es ertönt sogleich die nächste Musik aus einem per Solarstrom betriebenen, etwas entferntem Lautsprecher und hört sich dieses Mal nach Karaoke an. Auch das will ich mir nicht entgehen lassen und beschließe, zusammen mit einem Lehrer unserer Schulen, der mich mittlerweile begleitet, dorthin aufzubrechen. Bald stellt sich heraus, dass es sich um eine der häufigen Hochzeiten auf der Insel handelt, die heute gefeiert wird. Den Bräutigam treffen wir beim Fußballspielen mit seinen Freunden an. Er ist etwa 17 Jahre alt und scheint nicht allzu interessiert daran, bei seiner Hochzeitsfeier anwesend zu sein.

Am Ort des Geschehens wird uns leider bestätigt, was einer meiner Begleiter schon vermutet hatte: Die Braut ist eine Schülerin der 5. Klasse einer weiteren Schule der Insel und etwa 15 Jahre alt. Die Eltern sagen, sie wäre 18 und alles sei rechtens. Die Abschlussprüfung wird sie wohl nicht mehr machen können, es sei denn es kann genügend Druck auf die Eltern ausgeübt werden, wenigstens diesen Schritt zu erlauben. Im Laufe meines Aufenthalts auf der Schwemmlandinsel merke ich, dass Frühehen hier viel verbreiterter sind als auf dem Festland und den Menschen oft das Bewusstsein für die damit einhergehenden Probleme fehlt. Dieser Besuch ruft bei mir sehr zwiespältige Gefühle hervor und wir beschließen, die Gesellschaft bald wieder zu verlassen.

Trotz der gemischten Erlebnisse hatte ich eine gute Ankunft auf Kunderpara, wurde von den Menschen herzlich aufgenommen und habe am ersten Tag schon viel erlebt und Neues gelernt!

Der Aufenthalt hier ermöglicht mir auch „hinter die Kulissen“ zu blicken und Zusammenhänge zu erkennen, die bei einem einfachen Besuch nicht möglich wären, sowie schließlich auch den Menschen und ihrer Lebensweise etwas näher zu kommen und sie dadurch besser zu verstehen.

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