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Allahs Strafe

Sicher interessiert es euch auch, wie es mir im letzten Monat in meinem Projekt ergangen ist. Nun - ganz gut. Ich habe an den meisten Tagen zusammen mit dem Physiotherapeuten einige behinderte Kinder in ihren Dörfern besucht. Dabei habe ich jedes Mal großes Aufsehen erregt, das halbe Dorf ist zusammengelaufen, um mich zu betrachten. Leider ist Sohel (der Physiotherapeut) in dem Projekt alleine. Es ist für ihn unmöglich, die Kinder so regelmäßig zu besuchen, dass er eine Therapie machen könnte. Ich habe in drei Wochen kein Kind zweimal gesehen. Wie er mir erklärte, sind die meisten Eltern in der Durchführung der Übungen unterwiesen und könnten so selbst mit ihren Kindern arbeiten. Aber wirklich machen tun das die wenigsten. Ein behindertes Kind ist in Bangladesch in den Augen fast aller Dorfbewohner eine "Strafe Allahs". Die meisten werden von ihrer Familie und der Dorfgemeinschaft ausgegrenzt und missachtet.

Ein paar Erfolge habe ich aber auch gesehen: Ein Mädchen mit erfolgreich operierten Klumpfüssen, das wieder laufen kann, und ein anderes Mädchen mit cerebraler Lähmung, das nach ca. einem Jahr Physiotherapie selbständig läuft und seiner Mutter zur Hand geht.

Mit Mädchen ab der Pubertät darf Sohel aus kulturellen Gründen nicht mehr arbeiten, d.h., er darf sie nicht so anfassen, dass er Übungen machen könnte. Nun möchte er, dass ich mit diesen Mädchen arbeite. Den Gefallen möchte ich ihm gerne tun, nur ändert das nichts am Status quo, dass nämlich eine weitere qualifizierte Kraft im Projekt fehlt. So halte ich daran fest, etwas in den Köpfen der Eltern zu bewegen. Das jedoch versucht Sohel seit zwei Jahren - relativ erfolglos, wie er mir erzählte.

Mit den Mitarbeitern der NGO GUK komme ich gut zurecht. Allerdings sind sie sehr beschäftigt und für tiefer gehende Unterhaltungen blieb nur wenig Zeit. Um 17 Uhr verlassen die meisten ihre Büros und fahren nachhause. Dann bin ich mit dem Küchenpersonal und einigen anderen alleine. Diese Abende gestalteten sich manchmal recht einsam für mich. Doch eigentlich war ich nicht alleine, das ist man in Bangladesch nämlich nie. Immer sind Leute in der Nähe, die neugierige Fragen stellen. Und trotzdem ist es eine Art von Einsamkeit, innere Einsamkeit. Es ist der Mangel an Menschen, die die eigene Kultur kennen, wissen, wie es in Deutschland aussieht, und sich über für mich so normale Dinge wie als Frau Fahrrad zu fahren nicht wundern.

Aber ich habe mir eine Sache angewöhnt: jeden Tag, kurz vor Einbruch der Dunkelheit, gehe ich in die gleiche Teebude, esse eine Kleinigkeit und trinke einen Tee. Die Wahl der Bude war eher ein Zufall: die elfjährige Tochter des Besitzers ist viel auf dem GUK-Gelände und kannte mich schon, bevor sie mir auffiel. Eines Tages entschloss ich mich, einen Spaziergang zu unternehmen und kam dabei an der Hütte direkt am Bahnübergang vorbei. Shahida lief mir hinterher und fragte mich, ob ich später kommen würde, um ihr Haus anzugucken und einen Tee zu trinken. Ich versprach es, und habe es nicht bereut.

Mein Spaziergang allerdings endete eher in einer Art Umzug, da mir innerhalb kürzester Zeit ca. zwanzig Kinder hinterher liefen…

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