Achterbahnfahrt der Gefühle: Heavy Dancing mit Mr. Niko
Mit dem Bus fahren wir über holperige Straßen in den Westen des Landes. Das erste Mal begleite ich Mitarbeiter der Menschenrechtsorganisation Ain-o-Salish-Kendro bei ihrem Einsatz vor Ort. In der Distriktstadt Kushtia organisieren sie ein Menschenrechtstraining. Doch sie feiern auch gerne. Das große Stadtfest, das am zweiten Tag unseres Aufenthaltes stattfindet, können wir uns natürlich nicht entgehen lassen. Es ist von einem in ganz Bangladesch bekannten Stock-Kämpfer ins Leben gerufen worden. Ein indischer Elefant und ich sind die einzigen Ausländer und zusammen bilden wir schnell die Hauptattraktion des Umzuges. Inmitten der Masse von Menschen, zum lauten Rhythmus der Trommeln und unter den Anfeuerungsrufen der Zuschauer tanze ich mit meinen Kollegen. Jemand drückt mir eine Trommel in die Hand, und was das Fell hergibt schlage ich den eindringlichen Takt mit. Am nächsten Tag schmücken der Elefant und ich die Titelseiten der Lokal-Zeitungen und die Abend-Nachrichten der Fernsehsender strahlen ebenfalls unsere Bilder aus. Einfach unglaublich. Am nächsten Tag bekomme ich vom Veranstalter eine Ehrenauszeichnung verliehen - da ich gute Werbung für die Veranstaltung gemacht hätte. Noch Tage später grüßen mich wildfremde Leute auf der Straße mit den Worten "heavy dancing". vv Nur zwei Tage später nehme ich am Treffen einer Menschenrechtsgruppe in einer nahen Stadt teil. Auch einige Lokalpolitiker und Persönlichkeiten der Gegend, die sich für die benachteiligte Bevölkerung einsetzen, sind anwesend. Sehr viele Menschen in den abgelegenen Gebieten wissen überhaupt nicht, dass ihnen die Verfassung des Landes grundlegende Rechte garantiert und werden Opfer von Betrug und Gewalt. Kleinbauern werden brutal um ihr Land betrogen, Kinder müssen unter katastrophalen Bedingungen arbeiten oder Frauen werden rabiat gezwungen, Mitgift-Nachforderungen zu erfüllen. Wer Geld hat, kann sich sein Recht erkaufen. Die Teilnehmer des Treffens beraten mit den Rechtsanwälten von Ain-o-Salish-Kendro, wie sie die Bevölkerung über ihre Rechte aufklären und Menschenrechtsverletzungen an die Öffentlichkeit bringen können. Doch in den Tagen nach dem Meeting spitzt sich die Lage in der Region zu. Der Konflikt, den terroristische Untergrundparteien untereinander aber auch mit Mitgliedern der Regierungspartei austragen, eskaliert zunehmend offener. Die Nachricht über einen Fremden, der an einer Veranstaltung mit Lokalpolitikern teilnimmt, macht die ortsansässige Geheimpolizei misstrauisch. Sie führt Ermittlungen durch. Die Teilnehmer des Treffens werden befragt. Telefondrähte glühen heiß. Schnell verbreiten sich Gerüchte. Aus meiner Digitalkamera wird eine Videokamera und aus einem Freiwilligen aus Wetzlar-Naunheim wird ein international arbeitender Journalist. Da vor kurzem erst einige ausländische Journalisten festgenommen worden waren, schicken mich die Kollegen von Ain-o-Salish-Kendro sicherheitshalber in die Hauptstadt Dhaka zurück. Drei Tage später erscheint auf der ersten Seite der Lokalzeitung des Städtchens ein Artikel über einen mysteriösen Ausländer namens "Mr. Niko", der sich mit Politikern trifft. Mir war klar, dass die Arbeit für die Menschenrechte in Bangladesch kein Zuckerschlecken ist. Doch dass gleich bei meinem ersten Einsatz ein solcher Wirbel entsteht, hätte ich nicht für möglich gehalten.
Die großen überregionalen Zeitungen berichten täglich von Menschenrechtsverletzungen. Ein Achtzehnjähriger wurde nach seiner Verhaftung letzte Woche auf der Polizeiwache so sehr misshandelt, dass er ein paar Tage später starb. Jetzt gibt es mitten in der Hauptstadt heftige Unruhen. Autos werden zerstört und die Polizei greift mit Schlagstöcken ein. Ein zweiter Fall: Die achtjährige Liza, die seit ihrem fünften Geburtstag als Haushaltshilfe arbeitet, wurde jahrelang von ihren Arbeitgebern gequält - nein - regelrecht gefoltert. Zur Bestrafung für kleine Fehler wurde sie angekettet und mit einem glühenden Löffel traktiert. Mit kochendem Öl wurden dem Mädchen unendliche Schmerzen zugefügt. Nur mit Hilfe einer Nachbarin gelang es der Polizei jetzt, Liza zu befreien. Diese und viele andere Fälle zeigen mir täglich, wie wichtig die Arbeit unserer Menschenrechtsorganisation und die Unterstützung von NETZ sind. Vor allem für Kinder wie Liza.