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Abschied von Bangladesch

Mein achtmonatiger Dienst in Bangladesch ist fast zu Ende. In wenigen Tagen werde ich das Land verlassen und, wenn alles klappt, auf dem Landweg nach Hause zurückreisen. Mein Visum für den Iran habe ich heute bekommen. Nun fehlt mir nur noch das Visum für Pakistan, das ich hoffentlich in Delhi erhalten werde. Die hiesige pakistanische Botschaft hat mich zurückgewiesen mit der Begründung, dass sie keine Touristenvisa für Ausländer erteilen würde.

Seit meinem letzten ausführlichen Bericht ist viel Zeit vergangen und vieles passiert. Ich möchte mich im Folgenden jedoch auf die wesentlichen Dinge beschränken.

Nach unserem Freiwilligen-Seminar feierten wir am 14. April das bengalische Neujahrsfest. Gemeinsam mit einem Franzosen, der im Guest House wohnte, fuhr ich in den Ramna-Park, den größten Park Dhakas. Dort waren Tausende Menschen versammelt. Viele Männer trugen den traditionellen weißen Punjabi, auch ich hatte mir einen solchen angezogen. Wir durchstreiften den Park und saugten die feierliche Atmosphäre in uns auf. Mancherorts wurde gesungen, gespielt oder getanzt. Wie so oft waren wir Weißen eine große Attraktion und zogen einige Aufmerksamkeit auf uns. Fragen über Fragen, immer dieselben - woher kommst du, wie heißt du, was machst du hier, bist du verheiratet - und andauernd Hände schütteln, ein bisschen anstrengend war das schon. Schließlich gönnten wir uns eine Auszeit in einem italienischen Restaurant, bevor wir eine Veranstaltung einer Partner-Organisation von NETZ im Dhanmondi-Park besuchten. Dort wurden traditionelle Tänze aufgeführt, Lieder gesungen, Gedichte aufgesagt und Theater gespielt. Es war eine schöne, abwechslungsreiche Veranstaltung.

Wenige Tage später erlebte ich ein ziemliches Kontrastprogramm: Ich war mit einer Rikscha im Universitätsviertel unterwegs auf dem Weg zum New Market. Als wir an einer Ampel hielten sah ich, wie ein gut gekleideter Mann die Tageseinnahmen eines verkrüppelten Bettlers zählte. Von der Bettler-Mafia hatte ich zwar schon viel gehört, aber nie hatte ich sie live gesehen. Ich habe schnell ein Foto gemacht, was allerdings nicht unbemerkt blieb. Es gab etwas Tumult von Passanten, zum Glück fuhr meine Rikscha schnell davon. Ich sah zurück blickend noch, wie der Mann dem Bettler ein paar Taka in die Hemdtasche steckte und den Rest vom Boden in seine Tasche schaufelte. Offenbar war der Bettler mit seinem Anteil nicht zufrieden, denn er schimpfte auf den Mann ein. Dem war das aber ziemlich egal. Er ging einfach. Sein Schicksal teilen allein in Dhaka Tausende Bettler, vom Kleinkind bis zum alten Mann. Meist werden diese Menschen irgendwo in Dhaka abgesetzt und abends wieder eingesammelt und zu einem Schlafplatz gebracht. Dort bekommen sie nur eine dürftige Mahlzeit. All dies ist grundsätzlich bekannt, dass auf offener Straße abkassiert wird, ist jedoch erstaunlich. Selbst viele Bengalen, mit denen ich darüber gesprochen habe, sagten, sie hätten das noch nicht gesehen.

Dhaka habe ich den letzten zwei Monaten dreimal verlassen: Ende April war ich in Mohanganj im zentralen Norden des Landes (im Netrakona Distrikt), Anfang Mai dann in Rudrapur, einem Dorf im Dinajpur-Distrikt, und Anfang Juni schließlich einige Tage in Jessore und Darsana.

In Mohanganj habe ich Urs und Bela bei ihrer Arbeit begleitet. Sie sind beide Zivildienstleistende und drehen gemeinsam insgesamt vier Filme in Bangladesch, von denen zwei nun fast fertig sind. Ich habe sie bei Drehaufnahmen zu ihrem Film über extreme Armut begleitet und meine Eindrücke in einem Artikel zusammengefasst. Leider machte mir zwei Tage lang eine Grippe zu schaffen, aber meine Arbeit hat es letztendlich nicht maßgeblich beeinflusst. Für mich war es interessant ein paar, wenn auch nur flüchtige Eindrücke von dem Projekt zu bekommen, in das die beiden für die Zeit ihres Drehs eingebettet waren. Ähnlich wie in meinem Projekt in Chuadanga werden in dem Gebiet um Mohanganj extrem arme Frauen von einer Partner-Organisation von NETZ gefördert. Allerdings ist das Projekt wesentlich kleiner. In Chuadanga werden 3.300, in Mohanganj nur 600 Frauen gefördert.

Anfang Mai fuhr ich dann nach Rudrapur, um einen anderen Freiwilligen in seinem Projekt zu besuchen. Felix habe ich im Sprachkurs Ende Oktober kennen gelernt und wir haben uns angefreundet. Er arbeitet zwar nicht für NETZ, dennoch habe ich auch über seine Arbeit einen Artikel geschrieben. Seit September leistet er seinen Zivildienst in einer Schule, die von der Nichtregierungs-Organisation Dipshika unterhalten wird. Dort unterstützt er den Englischunterricht und programmiert eine Homepage für die Organisation. Die Tage in Rudrapur haben mir sehr gut gefallen. Es war der bisher abgelegenste und ländlichste Ort in Bangladesch.

Vor wenigen Tagen erst war ich in Jessore und Darsana, um Abschied zu nehmen von den Menschen, mit denen ich in den letzten acht Monaten viel zusammen gearbeitet und die ich lieb gewonnen habe. In Jessore, die für mich angenehmste und schönste Stadt in Bangladesch, traf ich ein letztes Mal die Mitarbeiter von Jagorani Chakra im Büro. Der Direktor, Mr. Arzoo, lud mich zweimal zum Essen ein. Mit einigen Mitarbeitern habe ich noch einmal lange und ausführlich gesprochen. Besonders schwer fiel mir der Abschied von Mazeds Familie, die hier in Bangladesch quasi meine Ersatz-Familie geworden ist. Ich werde sie vermissen.

Leider war ich nur knapp zwei Tage in Darsana, aber in diesen zwei Tagen hatte ich ein sehr konzentriertes Programm. Ich besuchte noch einmal die Menschen, die meine Zeit dort geprägt haben: Da wären zunächst alle Mitarbeiter des Programms für extrem arme Frauen, die für mich eine rührende Abschiedsfeier organisierten. Im Gegenzug übergab ich Ihnen eine Fotokollage meiner Arbeit im Projekt und besorgte einige Getränke und eine Torte für die Feier - es war ein sehr schöner Abend. Dann besuchte ich die Mondols in Karpasdanga, bei denen ich Weihnachten verbracht habe und den katholischen Vater Daniel von der örtlichen Mission. Ein herzliches Wiedersehen gab es mit Halima Karthum, deren Lebensgeschichte ich in einem früheren Bericht niedergeschrieben habe.

Doch mein Aufenthalt in Darsana hatte auch einen traurigen Beigeschmack. Anfang März, als ich im Indien-Urlaub war, wurde die achtjährige Tochter eines Projektmitglieds vergewaltigt. Seitdem organisierten die Frauen-Organisationen mit Unterstützung von Jagorani Chakra zahlreiche Protestkundgebungen, damit der Täter zur Rechenschaft gezogen wird. Er ist inzwischen verhaftet worden und muss sich vor Gericht verantworten, doch seine Familie, die recht einflussreich in Chuadanga ist, übt Druck auf Mazed, den Projekt-Koordinator, die Familie des Opfers, die Zeugen, die Polizei und den Richter aus, damit der Prozess eingestellt wird. 50.000 Taka, etwa 640 Euro, boten sie der extrem armen Familie an - 640 Euro für ein zerstörtes Leben. Die Familie hat das Geld abgelehnt, was nun dazu geführt hat, dass Mazed und die Familie des Opfers von der Familie des Täters bedroht werden. Auf eigenen Wunsch und in Absprache mit Mazed habe ich das Opfer und ihre Familie besucht, ihnen mein Mitgefühl ausgesprochen und sie ermutigt, weiter für die Bestrafung des Täters zu kämpfen. Um diesen Kampf zu unterstützen werde ich morgen noch einmal für ein paar Tage nach Darsana fahren und einen Artikel über den Fall schreiben, um ihn in Deutschland publik zu machen. In Chuadanga und den umliegenden Distrikten wurde bereits viel in den Medien über den Fall berichtet. Je mehr er publik wird, umso schwieriger wird es für die Familie des Täters werden, den Fall mit Geldzahlungen oder Drohungen zu vertuschen. Wenn ich den Artikel geschrieben habe, werde ich bei Darsana die Grenze nach Indien überqueren und meine Rückreise nach Deutschland antreten.

Spätestens Mitte August werde ich wieder in Köln sein.

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