Startseite
Jetzt spenden

Abgewrackt und ausgebeutet

IMG_4944.JPG

Anfang Januar fuhren Elisabeth und ich nach Chittagong, um uns die "Shipbreaking-Yards" am Hafen anzuschauen. An solchen Strandgegenden werden in ganz Südasien aussortierte oder nicht mehr funktionsfähige Schiffe wie Öltanker, Containerschiffe und Fähren aus Asien, Europa und anderen Ländern in Einzelteile zerlegt - also abgewrackt - und weitgehend recycelt. Jedes Jahr sind es Schätzungen zufolge etwa 800 Ozeanriesen.

Zum Zerlegen der Schiffe werden in Bangladesch kaum Maschinen eingesetzt. Per Hand und mit einfachsten Geräten werkeln Arbeiter an den riesigen Schiffen. Die meisten von ihnen sind Bauern aus dem Norden des Landes, die alleine nach Chittagong kommen, um das verdiente Geld an ihre Familien zu Hause zu senden. Sie arbeiten für extrem niedrige Löhne und unter gefährlichen Bedingungen, meist ohne jegliche Schutzkleidung. Die Schiffswände werden mit Schweißgeräten zerlegt, fallen hinab und werden bei Ebbe weggetragen. Dabei kann es vorkommen, dass Arbeiter abrutschen, sich an gefährlich scharfen Kanten schneiden oder von herabfallenden Teilen getroffen werden. In den Hohlräumen von Schiffen kann es zu Gasexplosionen kommen. Statistiken zufolge, lässt hier jede Woche mindestens ein Mensch sein Leben. Die Dunkelziffer ist vermutlich wesentlich höher, denn häufig ziehen sich die Arbeiter - teilweise auch Kinder und Jugendliche - Vergiftungen oder Infektionen zu und sterben an den Folgen. Die Arbeiter sind gefährlichen Dämpfen und Substanzen ausgesetzt. Die gesamte Umgebung der "Shipbreaking Yards" wird durch fehlende Sicherheitsvorkehrungen verschmutzt: Giftige Substanzen werden meist direkt abgetragen und verschmutzen Strand und Sedimente. Zudem sind Flussmündungen und das Grundwasser stark in Mitleidenschaft gezogen, die Schadstoffe werden durch die Gezeiten auch ins Landesinnere geschwemmt. Wenige Werften verfügen über Auffangvorrichtungen, mit denen Mineralöl, Schwermetalle und Asbest an Ort und Stelle gebunden und deponiert werden könnten.

Viele Menschenrechtsaktivisten sind hier aktiv, um die Arbeitsbedingungen zu verbessern. Der Film "Eisenfresser" von Shaheen Dill-Riaz hat auf das Thema aufmerksam gemacht. Im Oktober 2014 drehte das ZDF in Zusammenarbeit mit Patrizia Heidegger und Mohamed Ali Shahin von der Organisation Shipbreaking Platform den Dokumentarfilm "Giftiger Tankerschrott für Bangladesch" in Chittagong. In der Dokumentation interviewt das Team Menschen, die bei der Arbeit an den Schiffen verletzt wurden und beschreibt deren Kampf um Entschädigung durch Arbeitgeber sowie angemessene ärztliche Versorgung. Zudem geht die Dokumentation auf die Arbeits- und Lebensbedingungen der Arbeiter und ihrer Familien ein und legt offen, wie deutsche Reedereien involviert sind.

Vor Ort in Chittagong: Die Abwrack-Unternehmen, die mit diesem Geschäft hohe Gewinne erwirtschaften, versuchen ihre Strandabschnitte durch vorgelagerte Tore und Mauern vor fremden Blicken zu schützen. Elisabeth und ich wollten trotzdem versuchen, möglichst nah an die Schiffe und Menschen vor Ort heranzukommen. Wir nahmen ein Taxi, um dorthin zu gelangen. Angekommen am Strandabschnitt Bhatiary, fragten wir in höflichstem Bengalisch am ersten Tor, ob wir einen Blick hinter die Mauer werfen dürften. "Keine Erlaubnis", hörten wir vom Wachmann, der wohl wegen unserer Sprachkenntnisse trotzdem ein Lächeln im Gesicht hatte. Also ging es weiter zum nächsten Tor. Am Wegesrand sahen wir Häuser der Arbeiter, markiert mit "Küche" oder "Toilette". Wir durften zwar eintreten, jedoch keine Fotos machen. Von dort konnten wir den ganzen Strand überblicken, an dem knapp zehn riesige Schiffe lagen - teils äußerlich noch intakt, teils mit fehlenden Schiffswänden; halbe Schiffe, überall Bauteile. Hier und da ein donnerndes Geräusch von herunterfallenden Metallteilen.

Dann kamen wir ins Gespräch mit einigen Jungen, die in der Gegend wohnen. Einer der Jungen, Jhuki, rief ein Boot für uns heran und kurzerhand sollten wir von einer Flussmündung aus in die Nähe der Schiffe gefahren werden. So einfach hatten wir uns das gar nicht vorgestellt, aber fünf Minuten später saßen wir mit drei Fischern in ihrem hölzernen, wackeligen Boot mit Kurs auf die riesigen Schiffe. Jhuki hatte gefragt, ob er mitkommen könne und das war kein Problem. Schließlich waren wir ganz nah an den Schiffen, sahen von weitem einige Arbeiter, die Schutt ins Meer warfen. Wir hörten donnernde Geräusche von den Metallteilen, die im Inneren der Schiffe, zu Boden fielen, wir sahen hinein in die Schiffe, durch die demontierten Wände. Und überall Reste von anderen Dampfern am Strand. Dann ging es wieder zurück. Wir hielten an einer Teebude, tranken Tee und teilten eine große Packung Kekse mit den Jhuki und seinen Freunden.

Dann ging es zurück zur Hauptstraße von Chittagong, wo sich Geschäft an Geschäft mit Materialen aus den Schiffen reiht: Läden mit Besteck, Geschirr, Möbeln, Motorteilen, Sanitäranlagen, Metallplatten, Rohren - alles die Ausbeute der Ozeanriesen. Jhuki begleitete uns noch ein wenig und erzählte mir, dass der Vater eines anderen Jungen gerade gestorben sei. Er hatte an den Schiffen gearbeitet und sich am Fuß durch einen Nagel verletzt, wodurch sich offenbar eine Blutvergiftung oder Tetanus entwickelt hatte. Der Vater wurde noch ins Krankenhaus eingeliefert, konnte aber nicht mehr gerettet werden. Ein bewegender Tag für Elisabeth und mich.

Mehr BeiträgeAlle Beiträge

Ihre Spende kommt an.

Alle Projekte ansehen
Jetzt spenden

Sichere SSL-Verbindung