Mobilität als Überlebensstrategie

Am 27. Mai berichtete Shahidul Islam eindrucksvoll, wie sich der Klimawandel auf Vertreibung und Mobilität innerhalb Bangladeschs auswirkt und die Menschen damit umgehen. Als besonderen Fokus zog er den Textilsektor als Profiteur der Vertreibung und Binnenmigration heran und verdeutlichte an diesem Beispiel die Arbeit unter prekären Bedingungen. Abschließend zeigte er auf, wie lokale Initiativen Alternativen bieten. Diese erste öffentliche NETZ-Veranstaltung in Gießen fand in Kooperation mit der Steuerungsgruppe Fairtrade Town Gießen statt.
Auswirkungen des Klimawandels in Bangladesch
Bangladesch ist eines der vom Klimawandel am stärksten betroffenen Länder. Die Auswirkungen sind bereits da - Temperaturanstieg, Meeresspiegelanstieg, Versalzung, schwere und unregelmäßige Fluten, Erosionen, Kältewellen - und führen zu Vertreibung. Schätzungen zufolge wird es bis 2050 Studien zufolge 19 Millionen Geflüchtete (innerhalb des Landes) geben, dabei handelt es sich vor allem Menschen ohne Landbesitz.
Binnenmigration als Folge
Aber wohin gehen die migrierten Menschen? Es sind benachbarte Dörfer und Bezirke, der größte Teil der Menschen migriert jedoch in die Städte, vor allem nach Dhaka. Dabei ist die Situation der migrierten Menschen sowohl auf der Bezirksebene als auch in der Stadt von einem Verlust der Würde geprägt: Ausbeutung, fehlender/mangelnder Zugang zu sozialen Sicherheitsnetzen, Wasser und Sanitäranlagen sowie sexuelle Belästigung von Frauen und Schulabrüche bei Kindern sind Realität. Dennoch nimmt die Arbeitsmigration, größtenteils in die Städte, zu.
Textilsektor als Profiteur der Vertreibung und Migration
Viele Menschen, die vom Dorf in die Städte kommen, vor allem Frauen, suchen und finden eine Beschäftigung im Textilsektor. 85 Prozent der Näher*innen (5 Millionen Beschäftigte, 55 Prozent davon Frauen) sind Wirtschaftsmigrant*innen, so Shahidul Islam. Der Textilsektor trägt 11 Prozent zum BIP bei und bildet mehr als 80 Prozent von Bangladesch Exporteinnahmen. Unter anderem verstärkt dies das industrielle Wachstum und Urbanisierung. Trotz der Bedeutung des Sektors sind die Arbeitsbedingungen schlecht: Lange Arbeitszeiten, teilweise ein Fehlen von regulären Verträgen und niedrige Löhne - um nur einige zu nennen. Ein Eintreten für bessere Bedingungen wird durch Repressionen und Einschüchterungen erschwert bis hin zu unmöglich gemacht. Dennoch kommt es immer wieder zu Protesten der Arbeiter*innen für bessere Löhne.
Was kann getan werden?
Zunächst appelliert Shahidul Islam an die Verantwortung nationaler, aber auch internationaler Entscheidungsträger*innen und Unternehmen sowie Konsument*innen. Doch das reiche nicht aus. Shahidul Islam erklärt, wie NETZ einen Schritt vorher ansetzt: Partnerorganisationen vor Ortverbessern die Lebens- und Arbeitsbedingungen, um Landflucht zu verhindern. Dazu gehören die Schaffung eines sicheren Lebensunterhalts vor Ort, der Aufbau von Wissen und Fähigkeiten zum Beispiel in Bezug auf Klimaanpassung und klimaresistente Landwirtschaft sowie die Diversifizierung von Einkommensmöglichkeiten oder die Ermöglichung inklusiver Bildung. Dabei ist die Berücksichtigung marginalisierter Gruppen als vulnerabelste Gruppe aber auch als erfahrene Akteur*innen von zentraler Bedeutung. So sind die Befähigung von Frauen und Minderheiten, ihre Rechte einzufordern, und die Stärkung von Solidarität, Zusammenhalt und gegenseitigem Lernen in zivilgesellschaftlichen Organisationen und auf verschiedenen Ebenen wesentliche Schritte hin zu einer Veränderung.
Am Ende des Vortrags kommen viele interessierte und spannende Fragen aus dem Publikum. Unter anderem konkret zu Arbeitsverträgen aber auch darüber hinaus zum Bildungssystem oder zu der Situation und dem Status der geflüchteten Rohingya.