Eine Stunde kleiner Wunder
Schlecht gelaunt sitze ich in meinem Büro, draußen scheint die Sonne, ich höre Kinder spielen und Männer rufen. Vögel zwitschern munter in den Bäumen. Der Geruch von Frühling liegt in der Luft.
Mehrere Minuten vergehen, in denen ich versuche der schlechten Laune auf den Grund zu gehen, dann beschließe ich meine Freundinnen in Gaibandha zu besuchen. Eine kurze Fahrt mit dem Bus trennt uns voneinander, mehr nicht. Das Wissen das dieser Bus meist total überfüllt ist und man in der Regel gerade so mit zwei Füßen darin stehen kann, bringt mich zum zögern, hält mich aber nicht von meinem Entschluss ab.
Ich packe also meine sieben Sachen und stelle mich an den Straßenrand, um dort auf den Bus zu warten. Zu meinem Glück dauert es nicht länger als zehn Minuten, da höre ich in der Ferne ein Donnern und Grollen gefolgt von einem lauten Hupen. Der Bus kommt. Schnell strecke ich die Hand aus, der Bus kommt direkt vor mir zum stehen und ich springe in den, wie schon befürchtet, völlig überfüllten Bus.
Ich schaue mich um und versuche eine möglichst gute Position zu bekommen. Da steht plötzlich ein Mann auf, grinst mich an und bietet mir seinen Platz an. Er habe lange genug gesessen, jetzt sei ich an der Reihe. Dankbar aber auch überrascht nehme ich auf dem Sitz platz. Ich beginne mit meinen Augen meine Umgebung zu erkunden. Vor mir sitzen dicht gedrängt zwölf weitere Frauen. Alle in bunten Saris. Dahinter die Männer. Als ich zum Fenster hinaus schaue, sehe ich ein paar Kinder auf einem etwas erhöhten Weg rennen. Sie winken dem Bus zu. Zum ersten Mal an diesem Tag huscht ein Lächeln über mein Gesicht. Es ist schön den Kindern zu zusehen, ihre freudigen kleinen Gesichter zu beobachten.
Der Bus hat inzwischen volle Fahrt aufgenommen und prescht in Windeseile auf der schmalen, nicht mehr als zwei Meter breiten Straße entlang. Die Hupe ist auf Dauerbetrieb, jede Rikscha, jeder Fußgänger und jedes Motorrad weicht beim ertönen der Hupe sofort zur Seite.
RUMS! Ein Schlagloch. Mein Kopf und auch alle anderen schlagen unsanft gegen die Decke. Der Bus bremst, der Busfahrer dreht sich nach hinten. Besorgt schaut er sich um. Ist irgendwas passiert. Ich tue es ihm nach und schaue in dutzende, total verwirrt dreinblickende Gesichter. Als der Busfahrer sieht, dass nichts passiert ist fängt er ganz plötzlich und aus heiterem Himmel an, ausgelassen zu lachen. Innerhalb von Sekunden ist der ganze Bus erfüllt von lautem, lebhaftem, unbeschwertem Lachen. Warum eigentlich? Warum lachen wir nun alle? Vielleicht, weil nichts passiert ist. Vielleicht, weil es besser ist als wegen dem Schmerz zu weinen. Vielleicht, weil es einfach Spaß macht zusammen zu lachen.
Weiter geht’s. Trotz des Zwischenfalls wird dieselbe Geschwindigkeit wieder aufgenommen. Wir fahren vorbei an vielen kleinen, saftiggrünen Reisfeldern, die gerade erst frisch ausgesät worden sind. Die Sonne, die sich langsam rötlich färbt spiegelt sich in dem Wasser der bewässerten Felder.
Als der Bus dann erneut langsamer wird, schaue ich gespannt nach draußen. Was ist den nun schon wieder los? Mitten auf der Straße steht ein Traktor, dem soeben das Benzin ausgegangen ist. Ohne zu zögern, springen fünf Männer aus dem Bus und helfen dem Bauern, seinen Traktor zur Seite zu schieben, springen wieder in den Bus und es geht weiter. Im nächsten Augenblick werde ich ruckartig gegen den vorderen Sitz gedrückt. Der Busfahrer hat gerade eine Vollbremsung gemacht. Erregt sehe ich nach draußen und entdecke eine Henne, die es sich mit ihren Kleinen auf der Straße gemütlich gemacht hat. Deswegen also die Vollbremsung!
Das nächste Hindernis, das es zu bewältigen gilt ist eine Stahlbrücke, die nur ein winziges bisschen breiter als der Bus ist. Es wird gehupt und geschrien und nach drei mal vor und zurück und mit der Hilfe zahlreicher Zuschauer steht der Bus dann auf der Brücke. Das Problem: der Motor ist aus. Und von selbst will er nicht wieder angehen. Was nun? Ganz einfach: Die Männer steigen aus und schieben den Bus über die Brücke. Der kleine Abhang dahinter erweckt den Motor wieder zum Leben.
Erneut fährt der Bus an, erneut wird Vollgas gegeben und erneut wird gebremst. Dieses Mal aber aus einem anderen Grund. Ich bin am Ziel. Vorsichtig drücke ich mich zwischen den Menschen hindurch, lächle noch einmal zum Busfahrer und stehe dann auf der Straße.
Mit einem breiten Grinsen starre ich dem Bus hinterher, der eine große Staubwolke hinter sich her zieht. Als ich auf die Uhr sehe, bemerke ich, dass ich nur eine Stunde im Bus gesessen habe. Und davor, davor saß ich tatsächlich mit schlechter Laune in meinem Büro. Das alles kommt mir nun vor als wäre es Jahre her. Kaum zu glauben. Eine Stunde nur, aber eine Stunde kleiner Wunder.