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So gelingen Frauenrechte

Bei einer virtuellen Geprächsrunde zum Thema Frauen-, Mädchen- und Kinderrechte Ende April haben sich führende Menschenrechtler*innen, Sozialarbeiter*innen, Vertreter*innen staatlicher Stellen und NGOs aus Bangladesch ausgetauscht. Ein NETZ-Menschenrechtsprojekt wurde als beispielhaft gelobt. Und am Ende stand die Mahnung: Es muss noch viel passieren. Das sind die Stimmen aus der Runde:

Mohammad Golam Sarwar, Universität Dhaka

Eine Studie von uns ergab, dass zivilgesellschaftliche Organisationen eine wichtige Rolle bei der Prävention von Kinderheirat und häuslicher Gewalt spielen, indem sie für die Opfer eintreten und ihnen psychosoziale Unterstützung anbieten. Die Gruppen arbeiten auch mit der Regierung zusammen, damit die Menschen staatliche Unterstützung in Anspruch nehmen und sich selbst befähigen können, sich gegen frühe Ehen und häusliche Gewalt zu wehren. Die Aktivitäten und Beiträge der Dorfgruppen erleichtern es der Regierung, die Ursachen zu verstehen und dadurch gemeinsam Maßnahmen zu ergreifen, um das Übel der Kinderheirat zu beseitigen. Zivilgesellschaftliche Organisationen helfen auch bei der Inanspruchnahme von Rechtshilfe und bieten Opfern Unterstützung bei der Einreichung von Klagen gegen häusliche Gewalt. Um Kinderheirat und Gewalt gegen Frauen vollständig zu verhindern, müssen wir uns von unserer patriarchalischen Denkweise befreien, und der einzige Weg dorthin ist die Stärkung der Rolle der Frau.

Sultana Yasmin, Organisatorin der Athail-Shimul-Dorfgruppe

Wir haben zwei Kinder-Ehen während der Pandemiezeit verhindert. Der erste Fall war ein voller Erfolg, die andere Verheiratung wurde nach unserer Intervention aber doch noch im Geheimen durchgeführt. Der NETZ-Partner We Can hat uns massiv dabei geholfen, das Bewusstsein für Kinderheirat zu erhöhen und zu lernen, wie diese verhindert werden können.

Munira Begum, Mitglied der CS-Allianz

In unserer Gegend waren Kinder-Ehen in der Vergangenheit weit verbreitet. Ich habe in meiner Region Versammlungen durchgeführt, um das Bewusstsein der Gemeinde für diese Gefahr zu schärfen. Da ich Teil des NETZ-Partners Dascoh bin, habe ich auch mehr über die rechtlichen Möglichkeiten und Verfahren gelernt, um Kinderheirat zu verhindern.

Sara Khatun, NETZ-Programmmanagerin

Unser Projekt begann 2018 mit dem Ziel, die Zivilgesellschaft an der Basis zu stärken, damit sie ihren Handlungsspielraum ausweiten kann – auf den Schutz der Menschenrechte und die Prävention von geschlechterspezifischer Gewalt. Bangladesch hat verschiedene Gesetze zur Förderung der Frauenrechte und zur Verhinderung von Gewalt gegen Frauen, aber es gibt eine Lücke in der Umsetzung. Im Rahmen des Projekts haben wir 3.200 zivilgesellschaftliche Akteure in 128 Gruppen und regelmäßige Dialoge mit Vertretern von Behörden organisiert; 160 Standesbeamte und 40 Polizistinnen wurden zum Child Marriage Restraint Act (CMRA) und zum Domestic Violence Protection Act (DVA) geschult. Bisher wurden 1.501 Fälle von geschlechtsspezifischer Gewalt von den Gruppen gemeldet und mindestens 300 Kinder-Ehen wurden erfolgreich gestoppt. Wir haben 13.000 Schüler*innen für Genderthemen sensibilisiert. 660 Mädchen erhielten Selbstverteidigungstrainings und gaben die Fähigkeiten an Mädchen in ihren Gemeinden weiter. Mädchen und Jungen haben zudem Karten erstellt, um Belästigung an öffentlichen Plätzen in ihren Wohnorten zu stoppen.

Imdadul Haque Rana, Gemeindevorsitzender

Kinderheirat kommt in meiner Gegend nicht häufig vor. Wir haben dafür gesorgt, dass unsere Standesbeamten über die Problematik informiert sind und sie verhindern. Wir weisen auch die Bevölkerung an, die Beamten zu informieren, wenn sie etwas von einem Fall von Kinderheirat mitbekommen. Obwohl das Mindestalter für Verheiratungen bei 18 Jahren liegt, wurden Mädchen früher im Alter von 13 oder 14 Jahren verheiratet. Wenn es uns gelingt, der Bevölkerung die negativen Auswirkungen der Kinderheirat vor Augen zu führen und wirksam zu erklären, warum sie beendet werden muss, können wir Erfolg haben.

Provati Mahato, Gemeinde-Frauenbeauftragte

Wann immer wir von unserem Bürgerbündnis oder anderen Leuten Informationen über Kinderheirat erhalten, versuchen wir mithilfe des Landrates und des zuständigen Polizeibeamten die Vereinigung zu stoppen. Wenn die Eltern zögern, lassen wir sie ein Dokument unterschreiben, wonach ihnen bekannt ist, dass eine Haftstrafe droht, wenn sie versuchen, ihre Kinder vor dem Alter von 18 Jahren zu verheiraten. Die Kinderheiratsrate stieg während der Corona-Krise leicht an, ist aber inzwischen wieder gesunken. Die Bezirksverwaltung hat zahlreiche Versammlungen mit Menschen abgehalten, die mit dem Thema Kinderheirat in Verbindung stehen.

Md Nazmul Hamid Reza, Landrat

Die Kinderheiratsrate bei uns ist in den vergangenen zwei Jahren drastisch gesunken, weil die Menschen mehr über die negativen Auswirkungen von Kinderheiraten wissen und die Gesetze konsequenter durchgesetzt werden. Jeder, der versucht, eine Kinderheirat zu organisieren, stößt auf den Widerstand der lokalen Bevölkerung oder der Strafverfolgungsbehörden. Allerdings setzen die Erziehungsberechtigten die Hochzeit manchmal unbemerkt an einem anderen Ort fort. Die lokale Bevölkerung und zivilgesellschaftliche Gruppen spielen eine wichtige Rolle, wenn es darum geht, uns darüber zu informieren, wo und wann Kinderehen stattfinden. Manchmal braucht die Verwaltung gar nicht einzugreifen, weil die Menschen vor Ort selbst die Vereinigung erfolgreich verhindern.

Shamima Begum, Verwaltungsbeamtin

Frauen, die mit Belästigung oder Gewalt konfrontiert werden oder Mädchen, die zur Kinderheirat gezwungen werden, sollten sofort die 999 anrufen. Neuartige Service-Schalter für Frauen, Kinder, Senioren und Menschen mit Behinderungen sind in jeder Polizeistation zu finden. Es gibt Opferunterstützungszentren und einen speziellen Schalter für die Unterstützung bei Cyberkriminalität. Auch Apps können helfen.

Dr. Max Stille, NETZ-Geschäftsführer

Verschiedene Faktoren tragen zum Anstieg von häuslicher Gewalt und Kinder-Ehen bei; einer davon ist der Einkommensverlust in den meisten Familien, der zu einem Zustand der Unsicherheit geführt hat. Obwohl die Pandemie uns Steine in den Weg gelegt hat, arbeiten zivilgesellschaftliche Gruppen jetzt doppelt so hart, um die Situation zu bewältigen.

Sheepa Hafiza, Gender-Spezialistin

Eine Studie hat gezeigt, dass Mädchen in Bezug auf Kinderheirat von lokalen Komitees, zivilgesellschaftlichen Gruppen und NGOs Unterstützung erhalten – nicht von staatlichen Gremien. Doch wenn unsere staatlichen Instrumente nicht gestärkt werden, kann die Zivilgesellschaft nicht viel tun. Während der Pandemie verloren überproportional viele Frauen, die Alleinversorgerinnen ihrer Familien sind, ihre Arbeit. In der Annahme, ein Familienmitglied weniger zu ernähren zu haben, entscheiden sich diese Familien, ihre jungen Töchter zu verheiraten. Die Kinderehe ist jedoch für beide Seiten nicht vorteilhaft. Die Mädchen sind nicht bereit für die Ehe und kehren schließlich mit ihren Kindern nach Hause zurück, wodurch sich die Zahl der zu Ernährenden noch erhöht.

Halima Tus Sadia, Leiterin eines Schülerforums an einer Highschool

Ich bin vor drei Jahren dem Schülerforum meiner Schule beigetreten und habe so viel über die Rechte von Frauen, Kinderheirat, Gewalt gegen Frauen und andere wichtige Themen gelernt. Unsere Arbeit im Forum hat sowohl meiner Gemeinde als auch mir geholfen.

Jinat Ara Haque, Geschäftsführerin von We Can

Erkennen wir die Rechte der Frauen als Menschenrechte an? Unsere Gesellschaft hat die Tatsache nicht akzeptiert, dass Kinderheirat gegen die Rechte der Frauen verstößt. Kinderheirat kann nur gestoppt werden, wenn die Menschen verstehen, dass das ein grausames Verbrechen ist. Es gibt zwei Arten von Ehegesetzen im Land: die Scharia und das staatliche Recht. Staatliches Recht kann nicht angewendet werden, um eine Ehe unter Scharia-Recht zu annullieren. Für diese Ehen ist auch keine ordnungsgemäße Dokumentation erforderlich. Deshalb können Frauen, die von Scharia-Ehen betroffen sind, nach staatlichem Recht keine Hilfe erhalten. Dies ist ein bedeutendes Problem.

Meghna Guhathakurta, Geschäftsführerin von Research Initiatives Bangladesh

Viele Studien haben gezeigt, dass das Gesetz zum Verbot von Mitgift nicht funktioniert. Daher ist die Ehe zu einer wirtschaftlichen Transaktion geworden – um das Eigentum und das Kapital der Frauen an die Männer zu übertragen. Mitgift hat laut Regierungsstatistiken zu vermehrter häuslicher Gewalt geführt. Es gibt zudem zwei Arten von Kinderheirat. Die eine resultiert aus dem Druck, der von Familienmitgliedern ausgeübt wird. Es gibt aber auch eine andere, bei der sich junge Leute über Social-Media-Plattformen kennenlernen und sich dann mangels fehlendem Bewusstsein für die schädlichen Folgen der Frühehe entschließen – und durchbrennen.

Sadeka Halim, Professorin an der Universität Dhaka

In unserer patriarchalischen Gesellschaft sehen wir Frauen immer noch als eine Last an. Darin liegt das Problem. Bis heute werden, vor allem in den Dörfern, Geburten von Mädchen nicht als Anlass zum Feiern angesehen. Weltweit steht Bangladesch an vierter Stelle, was die Häufigkeit von Kinder-Ehen angeht. Einem Bericht zufolge sind 50 Prozent der Mädchen im Alter von 20 Jahren unter 18 Jahren verheiratet worden. Armut ist die Hauptursache für Kinderheirat. Der Einkommensrückgang infolge der Pandemie ist sicherlich der Hauptgrund für den jüngsten Anstieg der Kinderheirat. Religiöse Fundamentalisten sind ein weiteres Hindernis bei der Verhinderung von Kinderheirat.

Sharmin Islam, Gender-Analystin des Entwicklungsprogramms der Vereinten Nationen

Erst kürzlich hat UNICEF erhoben, dass etwa 64 Organisationen zur Verhinderung von Kinderheirat arbeiten. Die Koordination zwischen all diesen Organisationen ist entscheidend dafür, dass alle wichtigen Informationen bei den betroffenen Frauen ankommen. Studien haben aber auch gezeigt, dass der Zugang von Frauen zu digitalen Geräten sehr begrenzt ist. Das hat zur Folge, dass sie bei digitalen Beratungsstellen keine Hilfe suchen können.

Laila Jasmin Banu, Programmmanagerin bei der Europäischen Union

Der Umgang mit geschlechterspezifischer Gewalt ist ein wichtiges Thema für die EU. Dorfgruppen in Bangladesch haben Kinderheirat in ihren Gebieten verhindert. Die Mitglieder sind Familien regelmäßig nachgegangen und haben sie erfolgreich davon abgehalten, ihre Mädchen früh zu verheiraten. Dieser Praxis sollte in weiteren Distrikten Bangladeschs gefolgt werden. Wir müssen die Arbeit der verschiedenen Zivilgesellschaftsgruppen-Mitglieder würdigen, da die meisten von ihnen diese Arbeit freiwillig leisten. Und wir müssen sie weiter stärken, da die Gruppen diejenigen sind, die genau wissen, was in ihren Orten tatsächlich vor sich geht; viel mehr als die lokale Regierung.

Dr. Abul Hossain, Nationaler Berater

Wenn wir bei einer Kinderheirat intervenieren, reicht es nicht aus, nur die örtliche Polizei anzurufen und der Sache ein Ende zu setzen. Wir müssen der Ursache der Ehe auf den Grund gehen und sie angehen.

Sultana Kamal, Menschenrechtsaktivistin

Wir haben über die Stärkung unserer zivilgesellschaftlichen Gruppen diskutiert. Aber wer wird sie stärken und was macht eine Gruppe überhaupt aus? Die Sicherheit von Mädchen kommt immer wieder zur Sprache. Wir schätzen, dass Eltern dazu neigen, ihre Töchter früh zu verheiraten, um ihre Sicherheit zu gewährleisten. Aber gibt es irgendwelche Statistiken, die diesen Punkt belegen? Haben die Opfer von Kinder-Ehen danach keine Sicherheitsprobleme in Bezug auf Belästigung und häusliche Gewalt mehr? Die eigentliche Ursache ist, dass die Eltern und die Gesellschaft selbst nicht bereit sind, Verantwortung für Mädchen zu übernehmen. Daher glauben sie, dass die Verheiratung ihrer Töchter sie von dieser Verantwortung befreien würde. Religiöse Fundamentalisten verbreiten regelmäßig frauenfeindliche Reden. Aber wir versuchen nie, sie zu bremsen, während wir im gleichen Atemzug den zivilgesellschaftlichen Organisationen das Leben schwer machen, die sich eigentlich für die Stärkung der Frauen einsetzen. Wir können nicht sagen, dass wir die Gleichberechtigung der Frauen wollen und gleichzeitig zulassen, dass diese religiösen Fundamentalisten Hass gegen Frauen verbreiten.

Aroma Datta, Parlamentsabgeordnete

Nachhaltigkeit ist ein Thema, wenn es um diese Projekte geht. Ohne Kontinuität gibt es keine signifikanten Auswirkungen. Meine Frage ist, warum die Arbeit der NGOs sich auf zeitlich begrenzte Projekte beschränken muss? Wir müssen uns von solchen Praktiken verabschieden. Meiner individuellen Erfahrung nach haben Projekte im Allgemeinen keine wirkliche Stärkung der Frauen bewirkt – der soziale Wandel, den wir anstreben, muss vielmehr in unseren eigenen Häusern beginnen.

Shahidul Islam, NETZ-Direktor

Das NETZ-Projekt hat nationale und lokale zivilgesellschaftliche Akteure zusammengebracht, um die Perspektive der Betroffenen in der Politik einzubringen. Die Engagierten haben sogar mitten in der Pandemie gearbeitet und dabei viel riskiert. Sie haben über die Möglichkeiten des Projekts hinaus Hilfe für die in Not geratenen Menschen mobilisiert. Obwohl unser Projekt zu Ende geht, möchte ich unsere Gruppenmitglieder bitten, ihre gute Arbeit für ihre Gemeinschaft fortzusetzen. Ich danke ihnen aufrichtig für das, was sie bereits erreicht haben und was sie in Zukunft aus eigener Kraft tun werden.

Shamsuddoza Sajen, Redakteur

Bevor COVID-19 unser Land heimsuchte, hatte Bangladesch bedeutende Fortschritte auf dem Weg zur Beendigung von Gewalt gegen Frauen und Kinderheirat gemacht. Aber die Pandemie hat unsere Fortschritte nicht nur aufgehalten, sondern auch auf den Nullpunkt zurückgeworfen. Laut einer UNICEF-Studie sind rund eine Million Mädchen gefährdet, Opfer zu werden.

Den englischen Original-Beitrag finden Sie hier zum Download: Gesprächsrunde Frauenrechte

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