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Der Macht bietet sie die Stirn

Das Interesse am Gemeinwohl durchzieht ihr Leben wie ein roter Faden. Und so ist sich Sultana Kamal stets selbst treu geblieben - ständig im Dienste der benachteiligten Menschen und mit scharfen Blick auf das Treiben der Mächtigen.

Hingabe an die Sache zeichnet das Leben von Sultana Kamal aus. Die bangladeschische Menschenrechtsanwältin ist davon überzeugt, dass die Unantastbarkeit der Würde eines jeden Einzelnen entscheidend ist für das Funktionieren einer Gesellschaft. Wer sich die wechselvolle Geschichte ihres Landes vergegenwärtigt, versteht, weshalb sie gerade jene Werte, welche den Unabhängigkeitskampf 1971 geprägt haben, verinnerlicht hat.

Seither hat sich Kamal für die Gleichberechtigung in ihrem Land starkgemacht und spricht Frauen in ländlichen Regionen Mut zu, ihre Überzeugungen zu vertreten. Bei Repressionen gegen religiöse Minderheiten und indigene Gemeinschaften unterstützt sie diese. Gemeinsam mit anderen Frauen und Männern, die die herrschenden Umstände in Frage stellen, ist sie ganz vorne dabei, wenn es darum geht, die Mächtigen davon zu überzeugen, dass die Menschenrechte zählen – uneingeschränkt und bedingungslos.

Sultana Kamal sagt, dass ihre eigene Geschichte eine Reise entlang der gewundenen Pfade des Lebens ist. Sie wurde als Tochter des Schriftstellers Kamaluddin Ahmad und der Poetin Sufia Kamal geboren und ist in säkularer Tradition aufgewachsen. Diese Tradition hat sie während der unzähligen Kämpfe in ihrer Karriere stets hochgehalten. Gab es einen Moment in ihrem Leben, an dem sie ihre Überzeugung verinnerlichte, dass jedes Individuum zählt? Die Antwort lässt nicht lange auf sich warten. „Es war zu Beginn der 1960er-Jahre, noch vor meiner Teenagerzeit, da hörte ich in einer Unterhaltung meiner Eltern den Satz ,Lumumba wurde ermordet‘. Ich glaube, das war ein entscheidender Moment für mich“, erinnert sich Kamal. Sie hatte damals nur eine Ahnung, wer Patrice Lumumba, Wortführer der Unabhängigkeitsbewegung und erster Premierminister des unabhängig gewordenen Kongo, war. Doch sie spürte, dass etwas furchtbar schiefgelaufen war. Ihre Mutter war über Lumumbas Tod schockiert und auf eine subtile Art und Weise verstand Kamal deren Schmerz.

Heute, Jahrzehnte später, ist sie eine geachtete Fürsprecherin der Bürgerrechte, Vorsitzende von Transparency International Bangladesh sowie der Kampagne „We can stop violence against women“. Lange Jahre leitete sie die Menschenrechtsorganisation Ain-O-Salish Kendra. Seit jeher sieht sie sich wütenden Reaktionen ausgesetzt, wenn sie Zustände anprangert. Von persönlichen Bedrohungen, die sie seit vielen Jahren begleiten, lässt sie sich nicht entmutigen und bleibt lieber auf ihre Themen fokussiert. Auch die jeweiligen Regierungen reagierten stets empfindlich auf ihre Kampagnen und Forderungen nach Transparenz und guter Regierungsführung.

Kamal kann die Umstände gut einordnen, unter denen die Menschenrechte in Bangladesch immer noch nicht ihren Stellenwert haben, und behält gerade deshalb eine positive Perspektive. Denn das Bewusstsein für Menschenrechte sei im ganzen Land heute viel stärker ausgeprägt als je zuvor. Doch im nächsten Satz nennt sie das Paradoxon: Das Bewusstsein für Menschenrechte wachse, weil diese Rechte mehr und mehr verletzt würden. Ob sie das enttäuscht? Natürlich wünsche sie sich, wie jede andere Menschenrechtsaktivistin auch, dass die Bedingungen besser wären.

Das Interesse am Gemeinwohl durchzieht Kamals Leben wie ein roter Faden. Die Studentenbewegung in Bangladesch von 1962 inspirierte ihre Generation. Dass Bildung nur säkular und universell sein kann, wie es die damalige „Education Movement“ forderte, als Pakistan unter der ersten Militärherrschaft stand (und Bangladesch noch eine Provinz Pakistans war), wurde ihr zum Prinzip. Stets war ihr ein gewisser Individualismus eigen, weswegen sie sich nicht in formeller Politik verstrickte. Sie wusste natürlich, dass der demokratische Prozess über Mehrheiten und Parteien führt. Das bedeutete für sie aber nie, dass sie Mitglied einer politischen Partei wurde; ihren individuellen Spielraum wollte sie sich nicht einengen lassen. Nie hat sie sich für ein offizielles Amt zur Wahl gestellt, weder zu Studentenzeiten noch später auf nationaler politischer Ebene. Dennoch fand sie sich zu ihrer Zeit an der Universität in einer informellen Führungsrolle wider. Zu ihr kamen Leute, um sie in allen möglichen Angelegenheiten nach Rat zu fragen, zu persönlichen wie zu öffentlichen Themen.

Einige der wichtigsten Lektionen kamen von ihrem Vater. Der sprach mit weicher Stimme auf eine etwas altmodische Art zu seinen Kindern und brachte ihnen bei, dass das Leben voller Risiken sei, dass diese Risiken jedoch durch einen Schutzschild aus Mut und Transparenz in Schach gehalten werden könnten. Die erwachsene Sultana Kamal hat diese Lektion nie vergessen, sie dient ihr als Grundlage, gegen staatliche Mechanismen anzureden, welche die Würde des Einzelnen untergraben. Unabhängig davon, ob angesichts der Machtverhältnisse andere Menschen dem Unrecht entgegentreten, wird die Menschenrechtsverteidigerin stets deutlich: „Rechtsstaatlichkeit gilt für alle Institutionen“, Straffreiheit für Sicherheitskräfte wie die paramilitärische Einheit Rapid Action Battalion sei eine Rechtsverletzung. Die Konsequenzen, die auf solche Aussagen folgten, waren vorhersehbar: Ihre Gegner machten sich schnell daran, Schmach über sie zu bringen. Doch unbeeindruckt davon genießt Sultana Kamal den Respekt von Millionen Menschen, weil sie die Rechtsverletzungen durch den Staat öffentlich verurteilt.

Ihr Bewusstsein für richtig und falsch wurzelt auch in ihren intellektuellen Neigungen. Seit der Kindheit liest sie Zeitungen und befasst sich mit geschichtsträchtigen Persönlichkeiten wie Ahmed Sukarno (der frühere Präsident Indonesiens), Jawaharlal Nehru (Indiens erster Premierminister) und Ahmed Ben Bella (Algeriens erster Präsident). Die Familie war für Kamal so etwas wie ein Labor, in dem neue Ideen entwickelt, diskutiert oder aufgegriffen werden – eine davon war Panchsheela, ein Begriff, der sich in den 50er- und 60er- Jahren des letzten Jahrhunderts mantraartig über die ganze Welt ausbreitete und den Ruf nach Gewalt- und Blockfreiheit umfasste. Und dann gibt es da noch den großen Dichter Rabindranath Tagore in Sultana Kamals Leben, von dem auch diese Gedichtzeile stammt: „Wo furchtlos der Geist ist und das Haupt hoch erhoben

Angst habe sie nie gehabt, wenn sie die Rechte der indigenen Bevölkerung Bangladeschs verteidigte – jene Gemeinschaften, deren Existenz vom Staat nicht nur geleugnet, sondern bisweilen auch aktiv bekämpft wurde. In den Jahren nach der Unabhängigkeit Bangladeschs sah Kamal mit Entsetzen, wie der Staatsapparat den vielen ethnischen Gruppen im ganzen Land ihre Rechte verwehrte und bis heute keinen offiziellen Status als anerkannte Minderheiten gewährt. Das hatte sie nicht erwartet, als sie und ihre Familie während des Unabhängigkeitskrieges 1971 vor der pakistanischen Armee ins Exil geflohen wa- ren. Im Juni überquerte sie die Grenze nach Indien und engagierte sich umgehend in den Geflüchtetencamps für die endlos scheinende Masse an Menschen, die aus dem umkämpften Ostbengalen kam. Diese Erfahrung festigte die Überzeugung der damals einundzwanzigjährigen Sultana Kamal, dass der bangladeschische Staat, der früher oder später aus den Scherben des Krieges auferstehen würde, säkular, demokratisch und sozialistisch sein würde.

In ihrem Glauben an solche Prinzipien wurde sie enttäuscht. Jede Verletzung von Menschenrechten stellt für sie eine neue Wunde des Staates dar. Die bengalische Republik, die vor ihren Augen Form annahm, sollte eigentlich anders aussehen. Kamal behält im Auge, wie rücksichtslos der Staat sich heute gegenüber seinen Bürgern verhält. Ist sie deshalb desillusioniert? Nein. Aber sie ist besorgt. Als Mitglied der Übergangsregierung sollte Sultana Kamal 2006 die Vorbereitung der bangladeschischen Parlamentswahlen überwachen, doch sie behielt das Amt nicht lange, weil das Gremium in Kontroversen hineingezogen wurde. Kurzerhand verließ sie die Übergangsregierung. „Bleibe bei der Wahrheit“ war schon immer ihr Motto. Die Rolle in einer Übergangsregierung, war nach ihrem Verständnis, dem Land dabei zu helfen, tiefe Wurzeln in den Boden der Demokratie zu schlagen – und dafür sollte ihr Gremium freie Wahlen organisieren. Wie sie bald daraufhin feststellte, wurde diese Rolle jedoch untergraben durch die parteiische Haltung des Vorsitzenden der Übergangsregierung, dem Präsidenten des Landes. Sultana Kamal hatte ihre Wahl getroffen: Sie verließ die Gruppe, zusammen mit weiteren Mitgliedern. Und damit hatten sie das Prinzip der Integrität im öffentlichen Leben gestärkt.

Unmittelbar nach der Unabhängigkeit 1971 kümmerte sich Kamal gemeinsam mit ihrer Mutter in einem Rehabilitationszentrum in Dhaka um Frauen, die vom Krieg traumatisiert waren. Sie begann, sich mit Jura zu beschäftigten, nahm schließlich ernsthafte Studien auf, obwohl sie nicht vorhatte, die Rechtsdisziplin zum Beruf zu machen. Doch es stellte sich heraus, dass diese wie bestimmt für sie war: Sie bot ihr die Möglichkeit, die Nöte derjenigen zu verstehen und zur Sprache zu bringen, die dem Unrecht und der Bevormundung nichts entgegensetzen konnten.

Für Sultana Kamal gibt es viele Orte, an denen man Kerzen anzünden kann, damit sie die Dunkelheit verdrängen und Ungerechtigkeit Einhalt gebieten. Sie möchte, dass die Welt sich ändert und selbst Teil dieser Veränderung sein, indem sie ihren Beitrag zur Schaffung einer besseren Weltordnung leistet. In dieser Aussage liegt keine Anmaßung. Auch keine Illusion bezüglich der Realitäten, die sie tagtäglich erlebt. Kamal bietet den Mächtigen die Stirn. Das ist eine Qualität, die sie weiterbringt und vielen Menschen um ihr herum Hoffnung gibt – die Hoffnung auf eine Zukunft, in der sich das gemeinsame Gute erfüllt.

Text: Syed Badrul Ahsan

Der Autor arbeitet seit mehr als 40 Jahren als Journalist und warbei den bedeutendsten englischsprachigen
Tageszeitungen Bangladeschs als Herausgeber tätig.

Übersetzung: Lukas Jednicki.

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