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Dossier zur Fußball WM in Katar 2022 Ausbeutung von Migrant*innen im Rampenlicht

Migrant workers

Die Vergabe des Fußball-Weltmeisterschaftsturniers 2022 an das Emirat Katar hatte bereits seit der Entscheidung im Jahr 2010 heftige Kritik ausgelöst. Grund war unter anderem die Menschenrechtslage in dem Land am Persischen Golf. Im Zentrum der Kritik standen Arbeitsbedingungen von Arbeitsmigrant*innen, die vornehmlich aus Südasien in das Land kommen und zu einem großen Teil im Baugewerbe tätig sind. Menschenrechtler kritisierten die Verhältnisse seinerzeit als menschenunwürdig bis hin zu tödlich: Beim Bau von Stadien für die kommende Fußball-WM seien Arbeiter*innen aufgrund von unzureichendem Arbeitsschutz und ausbeuterischen Arbeitsverhältnissen ums Leben gekommen.

Die vor bereits gut zehn Jahren vorgebrachten Vorwürfe werden nun durch Recherchen der britischen Tageszeitung „The Guardian“ bekräftigt. Der Journalist Sean Ingle hat in einer aktuellen Recherche weitere Zahlen rekonstruiert, die „das anhaltende Leid von Wanderarbeitern, Frauen und der LGBTQ+-Gemeinschaft in dem Land“ verdeutlichen. Er verweist zunächst darauf, dass die FIFA bei der Vergabe der WM-Austragungsrechte im Jahr 2010 keine Menschenrechtsklauseln oder Bedingungen zum Arbeitsschutz von katarischen Behörden verlangt hat. Vom Zeitraum der Vergabe bis Anfang 2021 sind dann laut zurückliegenden „Guardian“-Recherchen mehr als 6500 Arbeitsmigranten aus Südasien in Katar gestorben. Davon sollen mindestens 1.018 Arbeiter aus Bangladesch betroffen gewesen sein. Die Recherchen stützen sich auf Daten aus katarischen Regierungsquellen, wonach im Zeitraum zwischen 2011 und 2020 jede Woche durchschnittlich zwölf Arbeiter aus Bangladesch, Indien, Pakistan, Nepal und Sri Lanka gestorben sein sollen. Laut „Guardian“ wurden als offizielle Todesursachen mehrfach „Verletzungen aufgrund eines Sturzes aus der Höhe“, „Erstickung durch Erhängen“ und „unbestimmte Todesursache aufgrund von Verwesung“ angegeben. Die laut den Daten häufigste Todesursache sei demnach aber ein „natürlicher Tod" in Verbindung mit akutem Herz- oder Atemversagen gewesen.

Angeblich nur drei Fälle

Wie Journalist Ingle nun weiter berichtet, habe Katar lediglich drei offizielle Todesfälle unter Arbeitern während der Vorbereitungen für die WM 2022 bestätigt. Dazu erklärt er unter Berufung auf weitere Quellen, dass sich die Zahl auf Projekte beziehe, die lediglich ein Prozent der entsprechenden Bauarbeiten in Katar ausmachten.

Die genaue Zahl der Wanderarbeiter, die infolge von Fahrlässigkeit bei Projekten im Zusammenhang mit der Fußballweltmeisterschaft ums Leben gekommen sind, lasse sich laut Ingle wohl nicht mehr eindeutig klären. Er verweist auf die Organisation Human Rights Watch, nach der es die katarischen Behörden versäumt hätten, die Ursachen für die Tode jener Tausender Wanderarbeiter zu untersuchen, die auf „natürliche Ursachen“ zurückgegangen seien. Besonders schwerwiegend kommt in diesen Fällen hinzu: Familien und andere Angehörigen erhielten laut Human Rights Watch nur selten oder gar keine Entschädigung.

Die Zahl von 100.000 Arbeitsmigrant*innen, die in den vergangenen zwölf Jahren in Katar aufgrund laxer Arbeitsgesetze und unzureichenden Zugangs zur Justiz ausgebeutet und misshandelt wurden, nennt Ingle unter Berufung auf die Organisation Amnesty International. Demnach müssten viele Wanderarbeitnehmer in Katar täglich zwischen 14 und 18 Stunden arbeiten, insbesondere im Haushalts- und Sicherheitssektor.

Land nicht verlassen

Wegen des Umgangs mit Arbeitsmigrant*innen – neben Bauarbeiter*innen auch Gärtner*innen, Care-Arbeiter*innen oder Gastronomiemitarbeiter*innen – wurde Katar wiederholt international kritisiert. Im Zentrum stand das umstrittene Kafala-System, wonach ausländische Arbeiter an ihre Arbeitgeber gebunden sind und ohne deren Einwilligung weder ihre Tätigkeit wechseln noch das Land verlassen können. Obwohl Katar Ende 2020 Arbeitsmarktreformen angestrengt und das Kafala-System offiziell abgeschafft hat, bleiben die Bedingungen für Migrant*innen internationalen Beobachtern zufolge prekär. Die bangladeschische Tageszeitung „Dhaka Tribune“ kritisierte angesichts der Berichte, dass Katar „es versäumt hat, seine zwei Millionen Arbeitsmigrant*innen zu schützen oder auch nur die Ursachen für die offensichtlich hohe Todesrate unter den überwiegend jungen Arbeiter*innen zu untersuchen“. Hinter diesen Zahlen stünden viele Geschichten von zerstörten Familien in Südasien, die zurückgelassen wurden, um eine Entschädigung kämpfen und über die Umstände des Todes ihrer Angehörigen im Unklaren bleiben müssen.

Im Vorfeld der WM hat der zuständige katarische Minister Medienberichten zufolge nun einen Entschädigungsfonds für Arbeitsmigrant*innen abgelehnt, den Menschenrechtler*innen angesichts der fatalen Lage gefordert hatten. 450 Millionen Euro – so viel wie die Prämien der Fußball-WM – sollten Opfern zur Verfügung gestellt werden. Katar hat das Angebot laut Berichten abgelehnt, unter anderem mit der Begründung, man habe weder Zahlen noch Informationen zu Opfern. Zum Start der WM hat Human Rights Watch nun erneut appelliert, diesmal eindringlich an die FIFA: Wenn Katar sich stur weigere, müsse der Fußball-Weltverband stattdessen Verantwortung übernehmen.

Wichtige Fragen aufgeworfen

Zuvor hatte die Organisation bereits eine Umfrage veröffentlicht, wonach ein großer Teil der Befragten (72 Prozent) forderten, dass auch Unternehmenspartner der FIFA und die Sponsoren der Fußballweltmeisterschaft 2022 auf Entschädigung und andere Abhilfemaßnahmen für die Opfer drängen sollten. Menschenrechtsorganisationen hatten die 14 Unternehmenspartner und WM-Sponsoren der FIFA bereits Mitte des Jahres in einem Schreiben dazu aufgefordert. Nur vier davon sagten ihre Unterstützung zu. Aber auch wenn der Kampf jeder einzelnen Familie und jedes Opfers einen langen Atem erfordert und mühsam bleibt, sind die seit Jahren bestehenden ausbeuterischen Systemen im Zuge der WM nun der Weltöffentlichkeit sichtbar geworden. Das Leid vieler Menschen hat viele wichtige Fragen aufgeworfen – die international weiter diskutiert werden dürften.

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