Den großen Schaden beheben
Von Eradul Kabir (Referent für Kommunikation und Wissensmanagement an der BRAC-Universität)
Covid-19 richtet in Bangladesch, wie auch im Rest der Welt, seit 18 Monaten verheerende Schäden an. Es war immer zu befürchten, dass die Pandemie die ärmeren Länder unverhältnismäßig stark treffen würde. So ist das in Krisenzeiten: Die Anfälligkeit der öffentlichen Einrichtungen wird deutlicher, und ihre Schwächen werden offenkundig. Inmitten des erbitterten Kampfes um Leben und Lebensunterhalt ist eine Gruppe im Land praktisch aus dem Blickfeld der Politik geraten: die Schulkinder. Während die öffentliche Gesundheit und der Hunger zu Recht die dringlichsten Anliegen während einer Pandemie sind, verursacht der derzeitige Zustand des Bildungswesens einen irreversiblen Schaden für das Humankapital unseres Landes, einen Schaden, von dem es Jahrzehnte dauern wird, sich zu erholen.
Seit März letzten Jahres waren alle Bildungseinrichtungen bis jetzt geschlossen. Das bedeutet, dass die Kinder fast zwei ganze Klassenstufen durchlaufen haben, ohne einen einzigen Schultag besucht zu haben. Natürlich bedeutet die Schließung der Schulen nicht automatisch eine vollständige Unterbrechung des Lernens. Wie nicht anders zu erwarten, haben Eltern und Schüler gemeinsam Wege gefunden, die Krise zu bewältigen. Die von den Familien gewählten Alternativen zum schulischen Lernen reichen von der einigermaßen effektiven privaten Nachhilfe und Fernunterricht bis hin zum fragwürdigen unbeaufsichtigten Selbststudium und der Hilfe von Familienmitgliedern.
Eine Reihe von Problemen sticht dabei ins Auge. Erstens ist es trotz der genannten Bewältigungsmechanismen unwahrscheinlich, dass die beträchtliche Verringerung der Zeit, die fürs Lernen aufgewendet wird, und der Versuch, außerhalb der von den Schulen bereitgestellten Umgebung zu lernen, die verlorene Schulzeit kompensieren können. Zweitens bedeuten alle oben genannten Methoden eine zusätzliche Kostenbelastung für die Familien, allein durch Auslagen für Fernunterricht und private Nachhilfe. Angesichts der Tatsache, dass während einer grassierenden Pandemie viele „Mäuler zu stopfen“ sind, werden ärmere Familien verständlicherweise Erwerbsaktivitäten den Vorrang vor der Ausbildung ihrer Kinder geben.
Das dritte Problem ist das offensichtlichste und eines, das wir hätten vorhersehen müssen. Die Vorstellung, dass Alternativen wie Fernunterrichtsinstrumente auf wundersame Weise die reguläre Schulbildung ersetzen würden, ist eie Wunschvorstellung. Schon vor der Covid-19-Krise war eines von fünf Kindern im schulpflichtigen Alter nicht in der Schule. Die Qualität der Bildung, die der Rest erhielt, war entmutigend. Mehr als die Hälfte der Kinder im Alter von sieben bis 14 Jahren verfügte vor der Pandemie über keine grundlegenden Lesefähigkeiten, und bei fast drei Viertel der Kinder wurden ähnliche Defizite im Rechnen festgestellt, wie eine 2019 vom Bangladesh Bureau of Statistics (BBS) in Zusammenarbeit mit UNICEF Bangladesch durchgeführte Erhebung ergab.
Die Regierung schien über die mögliche Corona-Katastrophe besorgt zu sein. Unmittelbar nach der Schließung der Schulen begannen die Behörden, den Unterricht für Grund- und Sekundarschüler im nationalen Fernsehen zu übertragen - eine oberflächlich betrachtet lobenswerte Initiative. Das Problem war jedoch das offensichtliche Fehlen der für die ordnungsgemäße Durchführung einer solchen Maßnahme erforderlichen Vorarbeiten. Mehr als ein Drittel der Familien auf dem Land hatte keinen Zugang zu einem Fernsehgerät. Aber selbst von denjenigen, die Zugang hatten, nahmen nur sehr wenige an diesen Kursen teil, und viele, die es taten, fanden den Inhalt langweilig oder schwer zu verstehen. Infolgedessen nutzten nur zwei bzw. drei Prozent der Grund- und Sekundarschüler dieses Medium.
Die zahlreichen Studien über das Bildungswesen in Bangladesch weisen auf drei wesentliche Folgen der Schulschließungen hin: eine Verschärfung der bestehenden Lernkrise, steigende Kosten und die sehr reale Möglichkeit einer Ausweitung der sozialen und wirtschaftlichen Ungleichheit im Land. Was können wir dagegen tun?
Um die Aufmerksamkeit auf diese stille Lernkrise zu lenken und den öffentlichen Diskurs in Richtung wirksamer, realisierbarer Interventionen zu lenken, brachte BIGD im Juli dieses Jahres einige führende internationale Experten zu einem Workshop zusammen. Die Aufgabe bestand darin, zufriedenstellende Antworten auf die folgenden Fragen zu finden: Wie können wir Nachholbildung anbieten, um Lernverluste auszugleichen? Wie stellen wir sicher, dass die letzte Meile der Bildung erreicht wird, ohne die Ungleichheit weiter zu verschärfen? Und schließlich: Wie können wir die Zahl der Schulabbrecher minimieren und auch den Kindern, die aufgrund der wirtschaftlichen Folgen der Pandemie aus der Schule ausscheiden, eine Chance im Leben geben?
Erstens müssen sowohl die Regierung als auch die Nichtregierungsorganisationen bei der Konzeption technologiegestützter Bildungsmaßnahmen die große digitale Kluft berücksichtigen. Um eine möglichst große Zahl von Kindern zu erreichen, sind sowohl fortschrittliche als auch einfache Technologien erforderlich. In einigen Fällen kann es sich dabei um aufgezeichneten Unterricht oder Live-Unterricht über das Internet handeln, in anderen Fällen kann es sich um eine rudimentäre Textnachricht handeln, mit der Hausaufgaben und Matheaufgaben übermittelt und bearbeitet werden.
Zweitens: Da Lernverluste während der Schulschließung unvermeidlich sind, sollten wir zumindest in der Lage sein, die Lernlücken zu ermitteln und zu messen, damit wir, wenn die Kinder in die Schule zurückkehren, den Unterricht auf ihr jeweiliges Lernniveau abstimmen können. Drittens ist es an der Zeit, dass wir das Lernen von der Schule entkoppeln. Nachhilfeunterricht während der Schulzeit ist nicht hilfreich; die Schüler könnten in ihrer aktuellen Klasse zurückfallen. Daher werden Förderkurse nach der Schule notwendig sein, um den Schülern zu helfen, ihren Rückstand aufzuholen und auf dem richtigen Weg zu sein. Die Herausforderung besteht darin, den Kindern die zusätzlichen Inhalte schmackhaft zu machen und sie nicht zu überfordern. Außerdem müssen wir kreative Lösungen finden, indem wir alle möglichen Unterrichtsmethoden erforschen und das gesamte Bildungssystem einbeziehen, z. B. indem wir Freiwillige aus der Gemeinde für den Nachhilfeunterricht engagieren.
Schließlich droht die Gefahr, dass Grund- und Sekundarschüler die Schule aufgrund der Pandemie abbrechen. Alle Maßnahmen, die Kinder ermutigen, in der Schule zu bleiben - und Eltern, ihre Kinder in die Schule zu schicken - sollten untersucht werden. Dazu gehören Anreize wie kostenlose Schulspeisungen und Ernährungsprogramme. Auch die Rolle der Gleichaltrigen bei der Förderung eines positiven Lernverhaltens der Schüler kann nicht hoch genug eingeschätzt werden. Maßnahmen, die den gemeinschaftlichen Aspekt der Schule betonen und die Zusammenarbeit und das hilfesuchende Verhalten der Kinder fördern, haben sich als wirksam gegen die steigende Zahl der Schulabbrecher erwiesen.
Anstatt proaktiv zu handeln, waren die politischen Maßnahmen und Interventionen in den ärmeren Ländern in der Vergangenheit eher reaktiv. Die Covid-19-Krise hat jedoch die Tücken dieses Ansatzes aufgezeigt. Vielleicht wird die Pandemie dieses Mal als notwendiger Anstoß für den Aufbau widerstandsfähigerer Institutionen für die Zukunft dienen.
Der Text ist zuerst in der Zeitung "The Daily Star" erschienen