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Das Patent und die Gerechtigkeit

Die Welt versucht der Corona-Pandemie mit Impfkampagnen Herr zu werden. Doch: Längst nicht alle Staaten haben überhaupt genug Vakzine. Vor allem Entwicklungsländer bleiben außen vor.

Von Fahmida Khatun

Die Ungleichheit beim Zugang zu Impfstoffen zur Bekämpfung der Covid-19-Pandemie wird immer größer. Seit Beginn der Impfstoff- Entwicklung gab es Befürchtungen hinsichtlich der Zugänglichkeit zu Impfstoffen für die Bürger ärmerer Länder. Zum einen ist das Angebot an Impfstoffen weitaus geringer als die Nachfrage. Zum anderen wird, was auch immer hergestellt wird, von den Industrieländern im Voraus und im Überfluss gekauft, wodurch Länder mit niedrigem und niedrigstem Einkommen mit ihren Impfungen weit zurückbleiben.

Viele Länder mit hohem Einkommen haben es bereits geschafft, einen großen Teil ihrer Bevölkerung zu impfen. Dagegen warten die meisten Menschen in den am wenigsten entwickelten Ländern (Least Developed Countries, LDC) immer noch auf ihre Impfungen und kämpfen damit, sich von der Pandemie zu erholen, sowohl in gesundheitlicher als auch in wirtschaftlicher Hinsicht.

Weltweit werden elf Milliarden Dosen an Covid-19-Impfstoffen benötigt, da 70 Prozent der Weltbevölkerung mit zwei Impfungen pro Person versehen werden müssen. Das Duke Global Health Innovation Centre gibt an, dass sich mit Stand vom 19. März 2021 die Länder mit hohem und oberem Einkommen etwa 6 von 8,6 Milliarden verfügbaren Impfstoffdosen gesichert haben. Diese Länder haben aber nur ein Fünftel der Gesamtbevölkerung der Welt. Länder mit niedrigem und unterem mittlerem Einkommen konnten sich nur 2,6 Milliarden Dosen sichern, obwohl vier Fünftel der Weltbevölkerung in diesen Ländern leben.

Seit der Einführung der Impfstoffe im Dezember 2020 ist die Anzahl der geimpften Personen in den einzelnen Ländern sehr unterschiedlich. Mit Stand vom 8. Juli 2021 sind nur 0,2 Prozent der Menschen in Ländern mit niedrigem Einkommen und 4,1 Prozent der Menschen in Ländern mit niedrigem mittleren Einkommen vollständig geimpft. Bangladesch konnte 2,6 Prozent seiner Bevölkerung vollständig impfen, während Indien im gleichen Zeitraum 5,1 Prozent seiner Bevölkerung vollständig geimpft hat. Die USA haben 47 Prozent und Großbritannien 51 Prozent ihrer jeweiligen Bevölkerung bis zum 8. Juli 2021 geimpft. Der Weltdurchschnitt der vollständig geimpften Menschen liegt bei zwölf Prozent. Bei einem so ungleichen Zugang zu Impfstoffen für Covid-19 kann sich die Welt jedoch nicht vollständig von der Pandemie erholen, selbst wenn einige Länder vollständig geimpft sind – denn wir leben in der heutigen Zeit nicht in Isolation. Daher ist eine schnelle Aufstockung der Impfstoffherstellung und -verteilung entscheidend.

Um die Versorgung mit Covid-19-Impfstoffen zu verbessern und die damit verbundene Ungleichheit zu verringern, wurden bereits Vorschläge präsentiert, den Entwicklungsländern und den am wenigsten entwickelten Ländern die Möglichkeit zu geben, generische Versionen von Covid-19-Impfstoffen, also günstigere Nachahmerpräparate, herzustellen. Mehrere Länder haben den Wunsch geäußert, Impfstoffe zur Deckung des heimischen Bedarfs und zur Lieferung an andere Länder herzustellen. Aber das Übereinkommen über handelsbezogene Aspekte der Rechte des geistigen Eigentums (Trade Related Aspects of Intellectual Property Rights, TRIPS) der Welthandelsorganisation WTO stellt in dieser Hinsicht ein Hindernis dar. Das TRIPS-Abkommen, das während der Uruguay-Runde der WTO ausgehandelt wurde und 1995 inkraft trat, schützt Schöpfungen und Innovationen durch Patente, Urheberrechte und Marken. Pharmazeutische Unternehmen kommen in den Genuss solcher Patente, weil sie in Innovationen investieren und Medikamente herstellen. Hierdurch verfügen einige Unternehmen über das Monopol für die Produktion bestimmter Medikamente, aufgrund dessen sie auch hohe Preise verlangen können.

Um die Impfstoffkrise zu überwinden, haben Indien und Südafrika Anfang Oktober 2020 eine Vorlage an den TRIPS-Rat gerichtet, in der sie eine vorübergehende „Ausnahmeregelung von bestimmten Bestimmungen des TRIPS-Abkommens für die Prävention, Eindämmung und Behandlung von Covid-19“ beantragen. In ihrer Mitteilung forderten die beiden Länder die WTO-Mitglieder auf, zusammenzuarbeiten, um „sicherzustellen, dass geistige Eigentumsrechte wie Patente, gewerbliche Muster, Urheberrechte und der Schutz nicht offengelegter Informationen keine Hindernisse für den rechtzeitigen Zugang zu erschwinglichen medizinischen Produkten darstellen, einschließlich Impfstoffen und Medikamenten, oder für die Ausweitung der Forschung, Entwicklung, Herstellung und Lieferung von medizinischen Produkten, die für die Bekämpfung von Covid-19 unerlässlich sind“.

„Ende Mai 2021 wurde ein überarbeiteter Antrag eingereicht, der von 62 Ländern unterstützt wurde, darunter Indien, Südafrika und Indonesien. In diesem Antrag fordern die Unterzeichner eine Ausnahmeregelung für drei Jahre „in Bezug auf Gesundheitsprodukte und -technologien, einschließlich Diagnostika, Therapeutika, Impfstoffe, medizinische Geräte, persönliche Schutzausrüstung, deren Materialien oder Komponenten, sowie die Methoden und Mittel zur Herstellung zur Prävention, Behandlung oder Eindämmung von Covid-19“.

Für Pharmaunternehmen würde die Kollektivierung geistigen Eigentums zur Herstellung von Covid-19-Impfstoffen bedeuten, nach Forschung und Entwicklung die Preise für Medikamente nicht mehr frei festlegen zu können. Auch die Frage nach Qualität und Sicherheit der Impfstoffe, die in anderen Ländern hergestellt werden sollen, wurde aufgeworfen. Befürworter der Herstellung von generischen Versionen argumentieren jedoch, dass die Hersteller über ausreichende Erfahrung in der Bereitstellung qualitativ hochwertiger Medikamente und Impfstoffe verfügen. Die USA sind bereit, bei den Covid-19-Impfstoffen auf Patentrechte zu verzichten. Mehrere Länder, darunter Australien, Japan, die EU, Großbritannien, Singapur, Brasilien und Südkorea, allerdings sind nicht bereit, den überarbeiteten Vorschlag zu diskutieren. Am 9. Juni 2021 einigten sich die WTO-Mitglieder schließlich darauf, textbasierte Verhandlungen zu der überarbeiteten Einreichung aufzunehmen. Es war erwartet worden, dass die WTO-Mitglieder bis Ende Juli zu einem vereinbarten Verhandlungstext kommen. Wenn ein vorübergehender Verzicht auf das Patent ausgehandelt und von den WTO-Mitgliedern beschlossen werden sollte, wäre dies eine beispiellose Entscheidung in dieser beispiellosen Zeit. Allerdings reicht ein solcher Verzicht nicht aus, um das Impfstoffangebot zu erhöhen und die Ungleichheit zwischen reichen und armen Ländern zu verringern. Wir sind uns bewusst, dass es in der WTO bereits eine gewisse Flexibilität in Bezug auf TRIPS gibt. Daher sollte die Entscheidung die Produktion und den Export von Generika zu einem erschwinglichen Preis beschleunigen – mehr als nach den bestehenden WTO-Regeln erlaubt ist. Es sei daran erinnert, dass die Doha-Erklärung der WTO von 2001 zur TRIPS-Übereinkunft und zur öffentlichen Gesundheit die Flexibilität der TRIPSMitgliedsländer bei der Umgehung von Patentrechten für einen besseren Zugang zu lebenswichtigen Medikamenten bekräftigte. Auch können – nach entsprechenden WTO/TRIPS-Entscheidungen in 2003 und 2005 – Zwangslizenzen für patentierte Medikamente erteilt werden.

So wäre die Aussetzung bestimmter geistiger Eigentumsrechte im Rahmen des TRIPS-Abkommens zwar ein entscheidender, allerdings auch nur ein erster Schritt zur Herstellung von generischen Impfstoffen – am wichtigsten sind Wissens- und Technologietransfer. Artikel 66.2 des TRIPS-Abkommens bezieht sich auf die Förderung von Technologietransfer durch Industrieländer an LDCs. Die Entscheidungen von 2003 und 2005 über TRIPS und öffentliche Gesundheit haben ebenfalls die Umsetzung von Artikel 66.2 betont. Es gibt jedoch eine klare Zurückhaltung seitens der Industrieländer und der pharmazeutischen Unternehmen, Technologie mit den LDCs zu teilen.

Bangladesch, das sowohl ein Land mit niedrigem mittleren Einkommen als auch als LDC ist, hat ein aktives Interesse an dem Vorschlag für den Patentverzicht für Covid- 19-Impfstoffe und Medikamente. Da bisher nur 2,6 Prozent unserer Bevölkerung vollständig geimpft sind, haben wir noch keine Klarheit darüber, wie und wann die 120 Millionen Menschen, die für eine Impfung in Frage kommen, vollständig geimpft sein werden. Allerdings verfügt Bangladesch im Vergleich zu anderen LDCs über eine bessere Kapazität zur Herstellung von Arzneimitteln. Es verfügt über einige erstklassige pharmazeutische Fabriken, die andere Länder, insbesondere ärmere Länder, mit preisgünstigen Medikamenten beliefern. Als LDC kann Bangladesch seine pharmazeutischen Produkte unter Zwangslizensierung exportieren. Und mit einer verbesserten technologischen Kapazität kann Bangladesch seine Produktionskapazitäten verbessern und Covid-19-Impfstoffe herstellen, um sowohl die inländische als auch die internationale Nachfrage zu decken.

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