Frauen sind von Gewalt und Ungerechtigkeit betroffen, ein Leben lang. Oft wird ihnen der Zugang zu Bildung, Gesundheit und Mitbestimmung verwehrt. In der Arbeit von NETZ standen von Beginn an Frauen im Fokus. Egal, ob sie auch wegen ihrer ökonomischen Stellung, Religionszugehörigkeit, der Region, in der sie leben, oder ihrer mangelnden Bildung diskriminiert werden: Frauen sind immer besonders von Ausgrenzung betroffen. Doch nicht zuletzt in den Projekten wird seit langem sichtbar: Frauen sind eine transformative Kraft. Bangladeschs Frauenbewegung hat viel erreicht und zu positiven Entwicklungen im Land maßgeblich beigetragen.
Endlich findet diese Einsicht auch in den staatlichen Mainstream mehr Eingang. Kürzlich hat das deutsche Entwicklungsministerium (BMZ) seine Strategie für eine feministische Entwicklungspolitik verabschiedet. Dies ist zu begrüßen und wirft gleichzeitig Fragen auf. Was ist nötig, damit diese vor Ort effektiv transformative Kräfte gegen Gewalt und Ungerechtigkeit stärkt? Was sind Hindernisse und Grenzen, auch in Ansätzen der Entwicklungspolitik?
Über diese Fragen und Beispiele aus der Entwicklungszusammenarbeit haben Praktiker*innen zusammen mit dem Publikum bei der NETZ-Bangladesch-Tagung vom 12. Bis 14. Mai 2023 diskutiert. Die Teilnehmer*innen vergegenwärtigten sich zunächst gemeinsam, was feministische Entwicklungspolitik laut dem Bundesentwicklungsministerium ausmachen soll. Ein Fokus liegt hierbei auf der Förderung von Geschlechtergerechtigkeit anhand der gezielten Stärkung der Rechte, der Ressourcen und der Repräsentation von Frauen. Die Strategie des Ministeriums verheißt, dass mit der lokalen Zivilgesellschaft zusammengearbeitet und der Globale Süden gestärkt werden sollen, die Strategie wird als antikolonial und antirassistisch bezeichnet.
Eröffnet hat die Diskussion in Wiesbaden Dr. Meghna Guhathakurta, Leiterin der NETZ-Partnerorganisation Research Initiatives Bangladesh und langjährige Frauenrechtsaktivistin im Land. In ihrem Videostatement wies Dr. Guhathakurta darauf hin, dass der lange Kampf gegen das Patriarchat heute auch durch neue Dynamiken beeinflusst wird. Sie nannte hier aus der Erfahrung in Bangladesch die Chancen, aber auch die neuen Gefahren von Technologien, die Bedeutung der sehr jungen Bevölkerung Bangladeschs und den Klimawandel, der sich schon jetzt besonders negativ auf Frauen auswirke. Die Schlagwörter des BMZ klängen erst einmal sehr sinnvoll und die Frauenrechtsbewegung in Bangladesch erwarte nun, dass auch entsprechende Taten folgten.
Als Frauenaktivistinnen aus Bangladesch begrüßen wir eine feministische Strategie der Entwicklungszusammenarbeit. Wir haben große Erwartungen an ihre Umsetzung.
Ganz ähnlich bewerteten auch die Podiumsgäste im Saal die Richtung der BMZ-Strategie. Edda Kirleis, Mitglied im Netzwerk Gender-Training und im Bangladesch-Forum, bezeichnete es als „wunderbar“, dass es diese Strategie gibt. Sie sei auch weitergehender als die gleichzeitig veröffentlichte feministische Außenpolitik. Gleichzeitig betonte Edda Kirleis, dass der Schwerpunkt der Strategie eben die staatliche Zusammenarbeit auf Regierungsebene sei. Mit den absehbaren Herausforderungen: der Staat sei selbst sehr patriarchalisch geprägt und damit nicht der beste Kanal, um die feministische Sache voranzutreiben. „Es braucht daher unbedingt die Zusammenarbeit auch mit der Zivilgesellschaft“, so Edda Kirleis. Denn gerade diese könne Frauen stärken. „Hier liegt aber nun eine Schwachstelle der Strategie des BMZ: ausgerechnet die Zivilgesellschaft ist nur sehr vage einbezogen,“ so Kirleis. „Sie Partnerschaft der Zivilgesellschaft in Deutschland und Bangladesch ist entscheidend und dafür müssen wir uns auch hier einsetzen,“ appelliert sie an das Publikum und NETZ. Ein Beispiel sei die anvisierte Klimapartnerschaft mit Bangladesch: diese dürfe nicht nur staatlich ablaufen, sondern es müssten auch zivilgesellschaftliche Organisationen einbezogen werden.
Für die Umsetzung der Feministischen Entwicklungszusammenarbeit ist die Zivilgesellschaft der entscheidende Akteur.
Die Moderatorin Layla Islam wies in diesem Zusammenhang auf ein mögliches postkoloniales Dilemma hin: wie kann die Bundesregierung eine feministische Perspektive in ihrer internationalen Zusammenarbeit einbringen und verstärken, ohne belehrend zu agieren und ein Machtgefälle zu verfestigen? Das, so Edda Kirleis, sei allerdings eine missverständliche Zuspitzung. Denn auch der bangladeschische Staat stünde ja in Kontinuitäten zur Kolonialzeit. Noch wichtiger sei es zu sehen, dass die feministische Kultur in Bangladesch seit langem stark ausgeprägt ist. Es wäre also kein „Überstülpen“ einer als westlich-modern verstandenen Idee, wenn die Bundesregierung auf eine Stärkung der feministischen Perspektive in Bangladesch dringt.
Der NETZ-Landesdirektor Habibur Rahman Chowdhury, der aus Dhaka zur Bangladesch-Tagung gekommen war, zeigte sich erfreut darüber, dass die Bundesrepublik eine feministische Strategie verfolgt. Es käme jetzt allerdings darauf an, dass die Strategie sich in der Praxis bewährt. Auch er betonte, dass es an Frauenstimmen in Bangladesch keinesfalls mangelt. „Die Frauen sind absolut laut. Das Problem liegt eher bei denen, die sie hören sollen“, erklärte er. Sprich: Die Frauenbewegung in Bangladesch ist stark, von der lokalen bis hin zur nationalen Ebene. Aber ihre Forderungen müssen auch von der Gesellschaft und der Politik aufgegriffen werden. Dass diese nicht ausreichend zuhören, sei schon ein Problem, seit Chowdhury vor 25 Jahren selbst bei einer Frauenrechtsorganisation anfing zu arbeiten.
Die Frauen sind absolut laut. Das Problem liegt eher bei denen, die sie hören sollen.
Habibur Rahman Chowdhury stimmte zu, dass es bei der feministischen Perspektive auch grundsätzlich um die Frage kolonialer Kontinuitäten und Machtverhältnisse in der Gesellschaft gehe. Feministische und machtkritische Ansätze in der Entwicklungsarbeit, die auf der lokalen Ebene beispielsweise in Familien gut funktionieren, sollten hierfür weitergedacht werden. Dazu verwies er auf Menschenrechtsprojekte von NETZ, in denen schon viel getan werde. Es sei immer wieder wichtig, zu erklären, dass feministische Ansätze sich nicht gegen Männer richten oder allein diese zu Veränderung mahnen. Überhaupt gehe es um die Veränderung von Rollen, die negativ geprägt sein können, unabhängig davon, wer sie ausfülle. „In der NETZ-Menschenrechtsarbeit werden Männer unbedingt einbezogen, um Teil der Veränderung zu sein. Denn: „Es genügt nicht, wenn einzelne Männer sich verändern, solange die Gesellschaft an sich antifeministisch ist“, sagt er.
Abschließend wiesen Edda Kirleis und Habibur Rahman Chowdhury nochmals darauf hin, wie wichtig für eine feministische Entwicklungszusammenarbeit eine intersektionale Perspektive sei, die auch die wirtschaftliche Dimension stets im Blick behalte. Denn Frauen, die indigenen Gruppen angehören oder in extremer Armut leben müssen, seien besonders von Wirtschaftsinteressen und Umweltzerstörung betroffen. „Es ist unsere Pflicht in Deutschland, für die Leidtragenden dieser Wirtschaftsweise einzustehen – auch wenn das besonders schwierig ist.“ Mit diesem Impuls ging es für Vortragende und das Publikum weiter in die Kleingruppen, um die Wirkung der NETZ-Projekte in Bezug auf Geschlechtergerechtigkeit konkret zu diskutierten.