Zwei Begegnungen an einem Fluss
Ein Reisebericht von Leonard Barlag

In sieben Jahren als Mitarbeiter bei NETZ habe ich viele eindrückliche Erzählungen von Menschen in den NETZ-Projektregionen kennenlernen dürfen – tragische Schicksalsschläge und bemerkenswerte Erfolgsgeschichten. Die persönlichen Begegnungen während meiner Reise in Bangladeschs Flussdelta wirken auch nach meiner Rückkehr in mir nach.
Da ist auf der einen Seite des Flusses die alleinerziehende Mutter Rokeya Begum.
Frühmorgens zwischen 2 und 3 Uhr bricht sie auf, um in den nahegelegenen Mangrovenwäldern fischen zu gehen und Feuerholz zu sammeln. Es ist ein gefährliches Unterfangen, denn auch Krokodile und der Bengalische Tiger suchen hier nach Nahrung.

»Ich habe Angst, aber es gibt keine andere Möglichkeit. Wenn ich nichts zu Essen habe, ist es sinnlos, Angst zu haben«

Und doch reicht es am Ende des Tages kaum für das Nötigste.
An den schwer erreichbaren Flussufern sind Reis und Haushaltswaren teuer. Gemüse wächst auf den salzigen Böden nur schlecht. Der steigende Meeresspiegel wird hier immer deutlicher spürbar.
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Mit Salzwasser geflutete Zuchtbecken zerstören im Süden Bangladeschs die Ackerböden.
Dass auch die Garnelen- und Krabbenzucht in der Region eine Rolle spielt, weiß mir auf der anderen Flussseite Nazma Akthar zu berichten.
Bereits mit 7 Jahren wurde sie verheiratet. Nachdem ihr Mann früh verstarb, arbeitete sie für einen kargen Tagelohn in einem der zahlreichen Salzwasserbecken, in denen Krustentiere für den Export gezüchtet werden. Es ist ein Wirtschaftszweig, unter dem hier Natur und Mensch gleichermaßen leiden. Nur wenn sie selbst verzichtete, konnte Nazma Akthar ihre drei Kinder ernähren. Doch nur wenige Jahre später hat sie den Sprung geschafft.
Bei meinem Besuch auf der Flussinsel Gabura zeigt Nazma Akthar mir stolz ihre kleine Nähwerkstatt, die sie sich im NETZ-Projekt „Ein Leben lang genug Reis“ aufgebaut hat.


Sie kauft die Stoffe im nahegelegenen Ort, auf dem Festland. Wenn sie das Geld dazu hat, erwirbt sie auch Fäden, Klammern oder Sandalen, die sie in ihrem Laden an Kund*innen aus der Nachbarschaft verkauft. So schafft sie es, trotz der schwierigen Bedingungen, sich ein Auskommen für den täglichen Bedarf zu erarbeiten.
Immer wieder bleibt auch etwas Geld übrig, welches Nazma zurücklegt – für schwierige Zeiten oder größere Anschaffungen. So hat sie sich von ihrem Ersparten zuletzt ein hölzernes Kanu zugelegt, mit dem sie im Fluss fischen geht. Ich entdecke das Boot neben ihrem kleinen Gemüsegarten. Auch der gedeiht deutlich besser, seit sie in Schulungen über Anbaumethoden auf salzigen Böden gelernt hat.
Ich freue mich zu sehen, wie Nazmas Bemühungen Früchte tragen. Und zugleich wünsche ich Rokeya Begum, der Fischerin, dass auch ihre harte Arbeit sich endlich auszahlt.