Wie der Klimawandel die Armut verstärkt
Zusammen mit seinen lokalen Partnerorganisationen hat NETZ eine aktuelle Studie erstellt. In dem von Studienautor Dwijen Malick erstellten Papier wird untersucht, wie sich der Klimawandel in verschiedenen Landesteilen Bangladeschs auswirkt, wie er soziale Konflikte befeuert. Aber auch, wie Menschen sich an die Gegebenheiten anpassen und gemeinsam Konfliktlösungen gefunden haben und Menschenrechtsschutzmechanismen aufgestellt werden können.
Der Fokus liegt auf Küstengebieten, dem sogenannten „Barind-Tract“ (einer dürreanfälligen Region im Nordwesten Bangladeschs und den nördlichen Flussgebieten an der Grenze zu Indien. Die Mehrheit der für die Studie befragten Haushalte ist extrem arm, nur etwa 54 Prozent der Menschen gehen einer regelmäßigen Erwerbstätigkeit nach. Die Befragten leben zumeist in den Randgebieten von Siedlungen, die anfällig für Überschwemmungen, Erosion und Wirbelstürme sowie für langsam eintretende Katastrophen wie Bodenversalzung und Dürre sind.
Im Fokus stand die Frage nach den Folgen des Klimawandels für die Lokalbevölkerung, sprich: Wie nehmen die Menschen den Klimawandel wahr? Die Mehrheit der Befragten ist der Meinung, dass der Klimawandel sich mit den Veränderungen der Jahreszeiten (79 %), des Temperaturanstiegs und des zunehmenden Hitzestresses im langen Sommer (76 %) sowie durch unregelmäßige Regenfälle (70 %) zeigt. Über 90 % der Befragten gaben an, dass Vieh und Geflügel von den Auswirkungen stark betroffen sind (also zunehmende Krankheiten aufgrund von Hitzestress und Kälte, geringe Produktivität und Verluste bei Katastrophenfällen). Auch der Acker- und Gemüsebau leidet den Angaben nach unter den Veränderungen (85 %), ebenso schmälere der Klimawandel Beschäftigungsmöglichkeiten und Entlohnung der extrem Armen (68 %). Das Küstengebiet ist in diesen Teilsektoren besonders anfällig, was zu größeren sozialen Konflikten führt.
„Die Familien in Armut sind hauptsächlich Opfer der Flusserosion. Wir haben keine anderen Orte, an denen wir leben können. Bei Hochwasser und Flut werden unsere Häuser und die umliegenden Gebiete überschwemmt. Wir haben keine Möglichkeit, unseren Lebensunterhalt anders zu bestreiten, und bekommen keine institutionelle Unterstützung.“
Surjo Dashi, Betroffener, Satkhira
Besonders betroffen von all den Entwicklungen sind Frauen, wie die Studie zeigt: Über 94 % der Befragten waren der Meinung, dass Frauen, welche in Armut leben und frauengeführte Haushalte in den Projektdörfern angesichts der gravierenden Auswirkungen des Klimawandels und der zunehmenden sozialen Konflikte die am meisten gefährdeten Gruppen sind.
Das hat vielfältige Ursachen, vor allem in Kombination miteinander. Nicht nur sind Frauen und arme Haushalte physisch stärker belastet, sie haben auch eine geringere gesellschaftliche Stellung und leiden unter geografischen Besonderheiten, die die klimatischen Extrembedingungen verstärken. Das macht es schwer, in der Situation zu bestehen. Die Bedürfnisse und Forderungen der gefährdeten und in Armut lebenden Gemeinschaften werden von den zuständigen Behörden nicht angemessen berücksichtigt, wie die Studie zeigt. Und: Etwa 67 % der Betroffenen können die Auswirkungen des Klimawandels nicht aus eigener Kraft bewältigen und das Risiko und die Anfälligkeit verringern. Betroffene nehmen etwa Kredite auf oder sind auf finanzielle Unterstützung durch Verwandte angewiesen und müssen Besitz verkaufen, um kurzfristig Geld zu bekommen. Fast die Hälfte (42 %) der Betroffenen wandert saisonal aus der Region ab oder wechselt den Beruf, um ihr Überleben zu sichern.
Es besteht also ein größerer Bedarf an armuts- und geschlechtergerechten Anpassungsmaßnahmen, um widerstandsfähige Lebensgrundlagen zu gewährleisten.
Stürme haben viele Schäden hinterlassen. Felder werden vernichtet. Dadurch verlieren unsere Männer ihre Arbeit. Wenn die Häuser der Arbeitgeber kaputt gehen, können auch wir Frauen nicht mehr bei ihnen im Haushalt arbeiten. Unser gesamtes Einkommen bricht weg. Trotz allem schaffen wir es. Irgendwie. Auch wenn es sehr schwierig für uns ist.
„Die sozialen Beziehungen werden bei Überschwemmungen stark beeinträchtigt. Die männlichen Familienmitglieder sind gezwungen, in die Städte abzuwandern, um dort Geld zu verdienen. Wir müssen provisorische Unterkünfte in der Nachbarschaft und auf der Straße errichten, aber wenn die Überschwemmungen länger andauern, haben wir sehr zu leiden. Wir bekommen bei Katastrophen aus keiner Ecke genügend Unterstützung."
Mitglieder von Frauengruppen, Kurigram
In den drei untersuchten Regionen sind die meisten Befragten (88 %) dabei, ihre Häuser zu befestigen, um sich gegen Klimakatastrophen wie Überschwemmungen und Zyklone zu wappnen. Sie erhöhen auch die Plattformen der Häuser (62 %) und bewahren Trockennahrung (60 %) und Futter für das Vieh (57 %) gesichert auf. Der Schutz von Trinkwasserquellen sind in den Regionen zudem gängige Anpassungspraktiken.
Die Studie hat in den Regionen deutliche Hinweise darauf gefunden, dass soziale Konflikte durch die Auswirkungen des Klimawandels verschärft werden. Die Mehrheit der befragten Menschen (63 %) stimmte zu, dass soziale Konflikte während Katastrophen zunähmen. Die meisten Konflikte werden demnach durch lokale Gesprächsrunden und Mediation gelöst (69,7%), die auch durch NETZ-Projekte vermittelt werden. NETZ legt insbesondere Wert auf die Förderung der Rolle von Frauen bei der Anpassung an den Klimawandel und der Bewältigung von sozialen Konflikten.
„Die Auswahl der Begünstigten von lokalen Agrarsubventionsprogrammen erfolgt in der Regel durch die Ausschüsse, die weitgehend von den einflussreichen lokalen Akteuren kontrolliert werden. Wenn unsere Meinung gehört worden wäre, hätten die wirklich betroffenen Landwirte die Unterstützung erhalten.“
Birendranath Ray, Landwirtschaftsbeamter, Lalmonirhat
Die durch den Klimawandel verursachten sozialen Konflikte bleiben dabei ein großes Problem, denn wohlhabende Menschen und Dorfeliten sind nach wie vor mächtig und interessengeleitet – die Interessen und Rechte der Frauen und in Armut lebender Menschen werde daher kaum berücksichtigt nicht. Daher müssen alternative und transformative Konfliktlösungen gestärkt werden, bei denen zivilgesellschaftliche Gruppen und die lokalen Partner von NETZ eine wichtige Rolle spielen können, so die Studienergebnisse. Die Rolle der Frauen, der lokalen Dorfgemeinschaft und der zivilgesellschaftlichen Initiativen, die durch NETZ-Projekte entstanden sind, spielen bei der Förderung einer geschlechtergerechten und armutsorientierten Anpassung an den Klimawandel eine entscheidende Rolle. Um sich voll entfalten und wirken zu können, braucht es allerdings eine höhere Anerkennung durch staatliche Stellen.
Die Studie hat ergeben, dass Frauen und Menschen in Armut in vielen Fällen kaum Forderungen und Rechte nicht bei Lokalbehörden stellen und geltend machen können – besonders in Küstendörfern. Denn Vertreter staatlicher Stellen arbeiten dort selten armutsorientiert, sie stehen unter dem Einfluss lokaler Eliten. Wohl deshalb haben sich nur 6 % der in der Studie Befragten zuversichtlich gezeigt, dass sie ihre Rechte und Forderungen gegenüber den Lokalbehörden und anderen Akteuren geltend machen können.
Erneut ist der Blick auf die Lage von Frauen hier wichtig: Sie leiden
in jenen männerdominierten Strukturen unter dem Mangel an sozialer
Sicherheit. Gesundheitsrisiken steigen zudem, wenn sie etwa während Unwetterereignissen keine ausreichenden Hygienemöglichkeiten haben. In
vielen Fällen nehmen sie während einer Katastrophe auch weniger Nahrung
und Trinkwasser zu sich.
„In meiner Region sind mehr als die Hälfte von insgesamt siebentausend Familien arm. Viele sind landlos und leben auf gepachtetem Grund. Die Menschen werden durch wiederkehrende Überschwemmungen und Flusserosion noch ärmer. Wir haben kein ausreichendes soziales Sicherheitsnetz. Wir haben nur drei Hochwasserschutzbauten, die auch nicht ausreichen, um die gefährdeten Menschen während der Überschwemmungen unterzubringen."
Khairuzzaman Mondal Badal, Lokalpolitiker, Kurigram
Dazu kommen die Bedingungen: Wie die Studie zeigt, sind die Vertreter*innen marginalisierter Gemeinschaften und Frauen meist landlos und leben nur geduldet auf Khas-Land, staatliches Land in unwirtlichen Gegenden (etwa an Flussufern oder Bahnschienen). In der Küstenregion leben die Landlosen vor allem in der Nähe der Dämme. In allen Fällen sind diese Gebiete in hohem Maße extremen Wetterereignissen ausgesetzt, seien es Zyklone in der Küstenregion, Nordwestwind und Dürre im „Barind-Tract“ oder Überschwemmungen und Flusserosion in der nördlichen Region.
Die Situation von Bauern und landwirtschaftlichen Tagelöhnern ist
besonders kritisch: Die Lohnarbeit in der Landwirtschaft ist die
Haupteinkommensquelle für die Landlosen, doch der Verlust der
landwirtschaftlichen Produktion aufgrund von Klimakatastrophen
verringert die Beschäftigungsmöglichkeiten für jene armen und marginalisierten Gemeinschaften. Nur während der Reiserntezeit haben diese Menschen drei
Mahlzeiten am Tag zu essen. Also nur rund sechs Monate im Jahr.
Außerhalb der Erntezeit müssen die Menschen am Rande der Gesellschaft
verschiedenen Beschäftigungen außerhalb ihres Wohnortes nachgehen – etwa
in Ziegelbrennereien, wo sie ausgebeutet werden und unfaire Löhne
erhalten.
„Wir bekommen weniger Haushaltsmittel zugewiesen, als wir fordern. Wir können die von Naturkatastrophen betroffenen Landwirte nicht angemessen entschädigen. Die Menschen am Rande der Gesellschaft werden immer ärmer und wandern ab, um an anderen Orten Geld zu verdienen. Das Fehlen einer ausreichenden Anzahl von Lohnarbeitern während der Erntezeit ist eine weitere Krise für uns.“
Jamal Uddin, Lokalpolitiker, Chapainawabganj
Der soziale Status der marginalisierten Bevölkerungsgruppen beschleunigt auch deren Katastrophenanfälligkeit. Sie werden nicht in den lokalen Entscheidungsprozess zur Katastrophenvorsorge einbezogen. Ihr sozialer Status und die bestehende Machtstruktur zwingen sie dazu, in einem Umfeld voller Einschüchterung und Angst zu leben. Eine weitere Herausforderung für die armen und marginalisierte Bevölkerungsgruppen ist die Korruption in Form von zusätzlichen Geldern, die Behörden von ihnen verlangen, um Dienstleistungen wie Brunnenbohrungen vor Ort zu erhalten.
Was also muss getan werden? Die NETZ-Studie hat Ansatzpunkte für Lösungen und Verbesserungen ausgemacht und Forderungen an zuständige staatliche Stellen formuliert:
Gefordert werden
- öffentliche Sensibilisierungsprogramme für die Auswirkungen des Klimawandels, Anfälligkeit und geschlechtsspezifische Anpassung
- die Schaffung alternativer Einkommensmöglichkeiten für marginalisierte Gemeinschaften in ihren Gemeinden
- die Einbindung armer Gemeinschaften in lokalpolitische Entscheidungsprozesse
- die Entschädigung von Landlosen
- finanzielle Unterstützung für marginalisierte und arme Gemeinschaften sowie Nahrungsmittelhilfe während der Dürreperiode
- ein digitales Verzeichnis und eine Datenbank über von Arbeitsmigration betroffene Familien und Unterstützung derer
- eine Verbesserung der Katastrophenvorsorge durch geschlechtsspezifische Programme
- den Bau und die Reparatur von frauen- und kinderfreundlichen Wirbelsturm- und Flutunterkünften
- den Bau von Gemeinschaftslatrinen und Wasserquellen
- einen regelmäßigen Dialog, Lobbyarbeit und Vernetzung mit den Verantwortlichen und politischen Entscheidungsträgern, um die Belange marginalisierter und armer Gemeinschaften in die Politik und die Maßnahmen einzubeziehen