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Die Witwe

Anmerkung: ich habe in Gaibandha einen Freund gefunden. Er ist viel Älter als ich, unterrichtet Englisch und Bengalisch, hat eine schöne Bibliothek eingerichtet, schreibt Gedichte und Dramen und leitet eine kleine Theatergruppe an. Mit ihm gemeinsam möchte ich gerne, wie er so schön sagt, aus drei Brettern eine Bühne zimmern, um darauf und davor Menschen zu versammeln. Es folgt nun eine erste lyrische Skizze für ein Stück, das nicht länger als fünf bis zehn Minuten sein soll, und eine junge Frau auf der Bühne zeigt, die mit Mimik, Gestik und Körperhaltung die Worte betont, die von der Stimme einer alten Frau gesprochen werden. Das Stück hat noch keinen Titel, ist in sich noch unfertig.

Einst,
da sprach er manchmal,
in einer Art rührenden Art Kauderwelsch,
vom Tod,
der die Reue bringt,
von Ungläubigen,
die es sicher gibt,
von endgültigen Abschieden,
von nutzloser Untätigkeit...

In den Spelunken,
in denen wir heimlich und unbekannt süßen Tee tranken,
weinte er,
wenn er sah, was uns umgab:
Herdenvieh des Elends!
In den dunklen Gassen
hob er die verlorenen Hoffnungen auf
und schämte sich.

Ich mochte ihn sehr.
Sofort.

Kannte er das Geheimnis, das Leben zu ändern?

Er gab an,
über alles bescheid zu wissen:
Kunst, Handel, Medizin, Liebe.
Und ich,
ich folgte ihm:
Ich konnte nicht anders...

Brüder und Schwestern,
vernehmt die Beichte der Traurigsten aller Dienerinnen:
von nun an lebe ich auf dem Urboden dieser schwarzen Erde,
bin besudelt
und lebe nicht länger grenzenlos!
Ich weine.
Ich leide wahrhaftig.
Oh meine lieben Schwestern...

Einst,
da setzte er sich meine Schönheit aufs Knie,
während mir Honig in Strömen floss
und drei Sonnen zeitgleich hinter seinen weißen Augen versanken.
Er riss mich an sich,
aus uns zweien wurde viere,
aber eins waren wir nimmermehr...

In der Dunkelheit
sah ich Gold
und konnte nicht trinken.
Mich hielt dieser Taumel fest
und seither kann ich nicht mehr sprechen...

Ich bin eine schreckliche Frau;
Der Regen tropft mir durchs Dach auf die Stirn,
ich habe keine Wahl
und muss seine Schale Reis füllen...

Einst,
da saß ich am Feuer und kochte nichts.
Er lag mit angewinkelten Knien
auf dem schäbigen Bett
und betrachte die Termitenlandschaft
über dem Lichtstrahl,
der uns unsere Tür ersetzte.

"Erinnerst Du Dich an unsere glücklichen Tage..."

"...Du erinnerst mich und Dich ständig daran..."

"...als wir gemeinsam die Sterne zählten?"

"Ja, und nun siehst Du wohin mich Deine Sterne geführt haben.
Ich führe ein sinnloses, faules Leben, als Gatte einer hässlich gewordenen, niedergeschlagenen Frau, die sich an mich klammern muss, weil ihr altes Leben sie nicht zurück nimmt..."

"Wie bist Du bloss fähig mich so zu verletzten?"

"Ganz einfach: es ist die Wahrheit!
Du lebst hier so, weil Dir genau dies zusteht,
ich hingegen, weil ich zu dumm und zu jung war..."

"Wahrscheinlich betrachtest Du diese Demütigung als bloß einen weiteren Schritt auf Deinem Weg meine Seele zu verkaufen..."

"Deine Seele ist so häßlich wie Dein Körper!"

"Aber Du, Du liebst mich!?"

"Liebe?
Liebe existiert nicht!
Nicht hier!
Liebe muss neu gefunden werden..."

"Ich verstehe Dich."

"Dein Verständnis ist so wenig Wert wie Deine Unfähigkeit schlimm ist, Deine Kinder nicht in den Schlaf singen zu können..."

Er zuckte mit den Schultern,
schloss die Augen auf seinem letzten Schritt durch unser Licht und verschwand...
Ich fror.

Seit diesem Tag
bin ich Witwe
und ich lüge jeden an
um nicht noch mehr zu sterben.
Seit er nicht mehr da ist,
sehe ich ihn jede Nacht,
meine große und strahlende Sünde,
seine blanken Füße auf den Kopf meiner Ehre gesetzt.

Ich begreife nicht,
wie ich nicht mehr seinen Mund auf meinem Halse spüre,
nie mehr sein Herz auf meiner Brust,
um auszuruhen.

Es wird eine Zeit kommen,
sicherlich,
da wird er mir feierlich
seine wunderbaren Hände reichen.
Ihr werdet sehen,
es wird alles sehr, sehr schön sein...
Inshallah.

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